Tiroler Tageszeitung, Leitartikel, Ausgabe vom 12. März. Von MICHAEL SPRENGER. „Die Entdeckung der Langsamkeit“.

Innsbruck (OTS) Gesundheitsminister Anschober trifft immerzu die richtige Tonlage. Sachlich erklärt er Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Epidemie. Seine Regierungskollegen lassen sich von ihm anstecken. Der Hang zur Inszenierung nimmt ab.

Das soziale Leben wird heruntergefahren. Und zwar in einer Art und Weise, wie es die allermeisten Menschen hierzulande noch nie erlebt haben. Ob die Maßnahmen, die von der Bundesregierung verordnet wurden, zeitgerecht gesetzt worden sind, ob sie übertrieben oder bei Weitem noch nicht ausreichend sind, kann erst in Monaten oder gar Jahren beantwortet werden. Die gesundheitlichen Auswirkungen des neuartigen Coronavirus sind noch im spekulativen Bereich angesiedelt, die wirtschaftlichen sind es nicht. Der ökonomische Einbruch durch das Virus war in dieser Dimension nicht vorhersehbar. Noch nicht einzuschätzen ist, wie sich das soziale Zusammenleben verändern wird. Wir alle werden unsere Gewohnheiten hinterfragen und ändern müssen. Das zum Teil auf Egoismus und Individualismus aufbauende Lebensprinzip in einer unübersichtlichen, globalisierten Welt steht auf dem Prüfstand. Solidarität ist uns zusehends abhandengekommen und muss neu gedacht werden.
Was die Welt und Österreich dieser Tage erleben, ist eine echte Wende. Eine Entdeckung der Langsamkeit (©Sten Nadolny) macht sich in weiten Teilen der Gesellschaft breit. Man muss nicht mehr immer und überall zugegen sein. Was gestern wichtig war, wirkt heute nichtig und klein.
Dass trotz dieser völlig neuen Erfahrung die Gesellschaft hierzulande mit Gelassenheit reagiert, ist ein Verdienst der Bundesregierung. Vor allem ist dabei dem grünen Gesundheitsminister Rudolf Anschober zu danken. Er versteht es mit einer beruhigenden, sachlichen Art, auch tiefe Eingriffe in das Alltagsleben mit einem wohltuenden Tonfall zu erläutern, der Sicherheit vermittelt. Und Anschober hat seine Regierungskollegen gewissermaßen positiv angesteckt. Die anfängliche Inszenierung samt der Bildersprache aus dem „War Room“ hat ausgedient. Bundeskanzler Sebastian Kurz findet zur Besonnenheit zurück, Innenminister Karl Nehammer und Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (alle ÖVP) verabschieden sich schrittweise vom martialischen Auftritt. Die Gesellschaft hat mit der Epidemie mitunter eine Chance bekommen, die sie nach der Lehman-Pleite nicht genützt hat: Korrekturen des herrschenden Weltbildes vorzunehmen. Die Regierung – ebenso wie eine umsichtige Opposition – könnte aus dieser Krise gestärkt hervorgehen. Das Leben kann durchaus ruhiger verlaufen. Es würde uns allen guttun.

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