TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ Ausgabe vom 11. November 2022, von Carmen Baumgartner-Pötz: „Verunsicherung ohne jede Not“

Innsbruck, Wien (OTS) Die Ärztekammer stellt ihren Ausstieg aus dem Mutter-Kind-Pass in Aussicht. Nach jahrelangem Stillstand ist das nachvollziehbar. Ein vertragsloser Zustand wäre gesundheitspolitisch aber fatal.

Dann halt nicht! Am Mittwoch haben die niedergelassenen Ärzte in ihrer Kammervertretung beschlossen, mit Jahresende die Kündigung des Mutter-Kind-Passes als Kassenleistung auszusprechen, sollte es bis dahin keine Einigung mit der Politik geben. In letzter Konsequenz hieße das: Schwangere müssten ab März die bis dato abgegoltenen Untersuchungen (Ultraschall etc.) privat zahlen und sich dann teilweise rückvergüten lassen. Auch die Untersuchungen von Babys und Kleinkindern bis zum 5. Lebensjahr wären nicht mehr automatisch gedeckt. Diese sind aber in erster Linie eine wichtige gesundheitspolitische Maßnahme, mit der alle Mütter und Kinder erreicht werden sollen. Und macht man die wichtigen Untersuchungen nicht, droht der Verlust des Kinderbetreuungsgeldes, auf das sehr viele Familien existenziell angewiesen sind. Das sind keine Peanuts.
Der Konflikt, der hinter der drohenden Eskalation steht, kommt nicht überraschend. Seit vielen Jahren verlangt die Ärztekammer eine Erhöhung der Honorare beim Mutter-Kind-Pass. Diese sind – trotz eines gestiegenen Volumens an Leistungen – seit 28 Jahren nicht angepasst worden. Betroffen sind KinderärztInnen, GynäkologInnen und AllgemeinmedizinerInnen – genau jene Fachrichtungen, bei denen es zu wenig Kassenstellen gibt, wohl auch aus diesem Grund. Der Ärger der Standesvertreter ist deshalb in höchstem Maße nachvollziehbar. Eine Regierung, die in den letzten Jahren in so vielen Bereichen „Koste es, was es wolle!“ stolz als Motto vor sich hergetragen hat und etwa gewillt war, Millionen für Corona-Tests auszugeben, macht ausgerechnet bei einer ganz grundlegenden Gesundheitsmaßnahme auf Sparefroh? Dass hier am falschen Platz gespart wird, ist mehr als offensichtlich. Vorsorgeuntersuchungen, Arztgespräche, Aufklärung, Impfungen: Ein guter Start ins Leben hat auch mit medizinischer Versorgung zu tun. Hier ohne Not irgendeine Form von Hürde einzuziehen, wäre mehr als fahrlässig.
Allerdings wird nichts so heiß gegessen, wie gekocht und kaum eine Verhandlungskulisse kommt ohne Drohszenario aus. Die Regierung kann es sich schlichtweg nicht leisten, dass es beim Mutter-Kind-Pass tatsächlich zu einem vertragslosen Zustand kommt. Sowohl ÖVP als auch Grüne beteuern hoch und heilig, dass eine Einigung bevorstehe. Man darf zuversichtlich sein, dass sich (angedeuteterweise schon nächs­te Woche) alles in Wohlgefallen auflöst. Dass es zuvor aber zu solch einer massiven Verunsicherung der Patientinnen kommen musste, ist ein Armutszeugnis und des ernsten Themas unwürdig.

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