TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ Ausgabe vom 10. November 2022, von Floo Weißmann: „Der vermasselte Erdrutsch“

Innsbruck (OTS) Ihre Abhängigkeit von Donald Trump sowie ihre Politik gegen den Mainstream haben die US-Republikaner den angepeilten Triumph bei den Kongresswahlen gekostet. Ob das zu einer Neuorientierung führt, bleibt vorerst offen.

Noch ist die Kongresswahl in den USA nicht fertig ausgezählt, die neue Verteilung der Macht in Washington nicht besiegelt. Aber das, was bisher bekannt ist, deutet auf ein Desaster für die Republikaner hin. Bei den Midterms muss die Partei des Präsidenten fast immer Federn lassen. Die weit verbreitete Unzufriedenheit über Zustand und Kurs der Vereinigten Staaten hätte diesen Effekt noch verstärken müssen. Stattdessen dokumentieren die bisherigen Ergebnisse die schwächste Performance einer Oppositionspartei seit Jahrzehnten.
Ein Grund dafür liegt in deren Abhängigkeit von Ex-Präsident Donald Trump. Er hat die Partei seiner Eitelkeit und seinen Interessen unterworfen und radikale Kandidaten propagiert, die außerhalb der republikanischen Hochburgen offenbar kaum mehrheitsfähig sind. Das kann die Republikaner die geplante Rückeroberung des Senats gekostet haben.
Das unerwartet knappe Wahlergebnis lässt sich deshalb auch als Absage an Trump und als Mahnung zur Mäßigung verstehen. Es stärkt Republikaner, die Trump hinter sich lassen wollen, wenn auch nicht unbedingt seine politischen Inhalte. Der Kampf um die Seele der Partei bricht nun wieder aus.
Trump wird das Feld wohl nicht freiwillig räumen, sondern ohne Rücksicht auf die Partei auf alles schießen, was sich bewegt. Die Republikaner haben ihm erlaubt, mit seinen Lügen viele Wähler in eine Parallelwelt zu entführen. Im nächsten Wahljahr 2024 droht ihnen deshalb, dass sie weder mit Trump noch gegen Trump gewinnen können.
Es geht aber nicht allein um den irrlichternden Ex-Präsidenten. Die Republikaner haben den angepeilten Erdrutschsieg auch deshalb vermasselt, weil sie jahrelang Politik gegen den Mainstream betrieben haben. Ihr Kampf gegen Abtreibung, Waffenkontrolle, Klimaschutz usw. hat zwar bei früheren Wahlen die eigene Basis aufgestachelt, aber sie haben dabei ignoriert, dass die überwiegende Mehrheit der Amerikaner etwas anderes will. Das hat es den Demokraten ermöglicht, diesmal den Spieß umzudrehen und in einem für sie eigentlich ungünstigen Wahljahr ihre Klientel zu mobilisieren.
Ob diese Erkenntnisse in den nächsten zwei Jahren in Politik gegossen werden, hängt auch von der neuen Machtverteilung ab. Reicht es für die Republikaner am Ende doch für eine knappe Mehrheit in beiden Kongresskammern, wird ihr Leidensdruck sinken. Sie werden dann wahrscheinlich versuchen, den demokratischen Präsidenten vor sich herzutreiben. Reicht es aber nicht, dann kann vom Desaster bei dieser Kongresswahl das Signal für eine Neuorientierung der Republikaner und vielleicht auch für eine neue politische Dynamik in Washington ausgehen.

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