TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: „Ansage mit Interpretationsspielraum“, von Mario Zenhäusern

Ausgabe vom Montag, 13. Mai 2019

Innsbruck (OTS) Bundeskanzler Kurz fordert ein Ende der Bevormundung durch die EU. Das spiegelt zwar die Stimmung im Land wider. Zwei Wochen vor der Europawahl gerät das berechtigte Ansinnen allerdings in den Verdacht, Wahlkampfgetöse zu sein.

Bundeskanzler Sebastian Kurz ist mit dem aktuellen Zustand der Europäischen Union alles andere als zufrieden. Seine Forderung nach einer Änderung der EU-Verträge stieß bei den restlichen Regierungschefs allerdings auf wenig Gegenliebe. Jetzt legt Kurz nach. „Statt ständig mehr Geld zu verlangen, sollte die EU aufhören, den Menschen immer mehr vorzuschreiben, wie sie zu leben haben“, schreibt er Brüssel ins Stammbuch. Und er beklagt, dass das Freiheitsprojekt Europa immer mehr zum engen Bürokratiekorsett für die Bürger verkomme. Konkret verlangt der Bundeskanzler die Streichung von 1000 EU-Verordnungen. Die Menschen würden von der EU Antworten in den großen Fragen Sicherheit, Außengrenzschutz oder Klimawandel verlangen, Vorgaben für die Zubereitung von Schnitzel und Pommes hingegen benötige niemand.
Mit seiner Kritik am „Regelungswahnsinn“ spricht Kurz aus, was die Mehrheit der Menschen in Österreich denkt. Die Europäische Union mischt sich zu sehr in Detailfragen ein, scheitert aber gleichzeitig an den großen Aufgaben, wie das Versagen im Bereich der Migrationspolitik beinahe täglich vor Augen führt. Außerdem misst Europa zunehmend mit zweierlei Maß, wie Beispiele in Tirol belegen. Bei der Ausweisung von Natura-2000-Gebieten etwa gibt sich Brüssel kleinlich, schaut aber bei den Grenzkontrollen der Bayern in Kufstein großzügig weg. Ganz zu schweigen vom Dauerbrenner Transitverkehr, wo sich die EU seit Jahrzehnten auf die Seite der Frächterlobby stellt. Die Forderungen der Bevölkerung entlang der Autobahnen nach einer Reduktion der Belastungen durch den Schwerverkehr hingegen werden ignoriert bzw. alle Maßnahmen, die in diese Richtung zielen, torpediert.
Kurz trifft mit seiner Forderung nach einem Ende der Bevormundung durch die EU außerdem den Nerv jener, die der Gemeinschaft ohnedies kritisch gegenüberstehen. Mehr Rechte für die Nationalstaaten, weniger EU, das ist eine der zentralen Forderungen von Orbán, Salvini und Co. – und natürlich auch der FPÖ. Das schwächt zwar die Plausibilität der Argumentation nicht. Aber die Tatsache, dass der Regierungschef seine Vorschläge jetzt macht und nicht das halbe Jahr der österreichischen Ratspräsidentschaft zur Diskussion darüber genützt hat, lässt auch eine andere Interpretation zu. Nämlich die, dass es ihm weniger um die Reform der EU geht, sondern in erster Linie um Stimmen bei den bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament.

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