Tiroler Tageszeitung, Ausgabe vom 7. August 2017; Leitartikel von Anita Heubacher: „Nicht können, nicht wollen, nicht müssen“

Innsbruck (OTS) - Da liegt es nun auf dem Tisch: Die Mehrheit der Frauen hat die Karriere und die Selbstständigkeit nicht als Ikone auserkoren. Der Boom zu Teilzeitjobs hält ungebrochen an und wird stärker denn schwächer.

Wir müssen mehr Frauen von Teilzeit in Vollzeit bringen. Das ist das Mantra nach der Präsentation jeder Armuts- oder Working-Poor-Studie. Seit Jahren. Nun, so wie es aussieht, wird das wohl ein frommer Wunsch bleiben, auch wenn wir die Kinderbetreuung bis in den letzten Winkel Österreichs und Tirols ganzjährig und ganztägig ausbauen. Dass die hohe Teilzeitquote mit der noch immer teils mangelhaften Kinderbetreuung zusammenhängt, dass Handlungsbedarf besteht, ist unumstritten, aber offensichtlich nicht allein des Rätsels Lösung. Es liegt nicht nur am Können, sondern auch am Wollen. Dem Befund der Wirtschaftskammer müssen wir Frauen wohl zähneknirschend zustimmen, wenn damit nicht Alleinerzieherinnen oder Frauen gemeint sind, die es sich nicht aussuchen können.
Die Teilzeitquote von Frauen ist in den letzten Jahren gestiegen, nicht gesunken. Es drängt Frauen nicht scharenweise in die Vollzeit, wenn die Kinder größer oder gar Jugendliche sind. Selbst bei Akademikerinnen, die einst als Vorreiterinnen für Vereinbarkeit galten, ist die Lust, nach einem Kind oder Kindern rasch oder irgendwann wieder voll einzusteigen, enden wollend. Da liegt es nun schwarz auf weiß und auf dem Tisch: Die Mehrheit der Frauen hat nicht die Karriere oder die selbstständige Frau als Ikone auserkoren. Bleibt die provokante Frage: Ja ist denn das so schlimm? Nein, solange die Selbstverantwortung nicht zu Lasten der Allgemeinheit zu kurz kommt. Härtefälle, sozial Schwache kann das Sozialsystem abfangen, nicht aber eine breite Masse.
Es sind nicht nur die fehlenden Kinderbetreuungsplätze, es ist auch die Wiederkehr des neuen Biedermeiers, die Frauen in Teilzeit verharren lässt. Sehr lange, nicht ein, zwei, drei Jahre, sondern oft fast ihr ganzes Berufsleben lang. Das hat etwas mit Konservativismus und Lebenseinstellung zu tun. Das ist ein Grund dafür, warum die Teilzeitquote im Westen höher ist als im Osten, in Österreich und Deutschland höher als in Dänemark.
Die Teilzeitquote wird nicht mehr sinken. Dafür sorgen die Work-Life-Balance der Millenniumsgeborenen und das Vermögen, das kaum in Einkommensstatistiken berücksichtigt wird.
Was, wenn Frauen und Männer nicht mehr Vollzeit arbeiten wollen, weil sie geerbt haben und sich Teilzeit leisten können? Das rüttelt an der Ikone Leistungsgesellschaft. Es wird Zeit, Dinge anders zu diskutieren. Nächstes Jahr wieder, wenn die Wahlen vorbei sind und lange keine mehr ins Haus stehen.

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