Tiroler Tageszeitung, Ausgabe vom 6. April 2017; Leitartikel von Christian Jentsch: „Der Abgesang auf alles Menschliche“

Innsbruck (OTS) - Der Giftgasangriff auf eine Kleinstadt mit Dutzenden Toten manifestiert wieder einmal die schockierende Unmenschlichkeit im syrischen Bürgerkrieg. Ein Krieg, der neue Monster schaffen wird.

Während in Brüssel auf einer internationalen Geberkonferenz über humanitäre Hilfe für das in Schutt und Asche liegende Bürgerkriegsland Syrien verhandelt wird, geht die syrische Apokalypse in die nächste Runde. In der finalen Schlacht um Aleppo – die lange Zeit heiß umkämpfte Stadt im Nordwesten des Landes wurde Ende Dezember des Vorjahres von Assads Truppen mit tatkräftiger Hilfe Russlands und des Iran vollständig von den Rebellen zurückerobert – wurde das Tor zur Hölle weit aufgestoßen. Doch trotz einer im Anschluss an die Tragödie von Aleppo vereinbarten Waffenruhe geht das große Sterben weiter. Bei einem Giftgasangriff auf eine Kleinstadt in der großteils noch von (islamistischen) Rebellen gehaltenen nordwestlichen Provinz Idlib wurden mindestens 72 Menschen getötet. Darunter auch mindestens 20 Kinder. Kinder, die im grausamen Spiel um eine Neuordnung des Nahen Osten geopfert werden. Geopfert auf dem Schachbrett einer Machtpolitik, die Syrien zum Schlachtfeld der involvierten Regional- und Großmächte auserkoren hat.
Vieles deutet darauf hin, dass die Armee von Diktator Bashar al-Assad für das Massaker an der Zivilbevölkerung verantwortlich ist. Die Armee eines Präsidenten, dessen Macht und Überleben längst in den Händen brutaler Milizen und seiner Verbündeten liegen. Dass jene Klinik, in der die Opfer des Giftgasangriffes um ihr Überleben kämpften, auch noch bombardiert wurde, zeigt, dass alles Menschliche im blutigen syrischen Bürgerkrieg zu Grabe getragen wurde. Im 21. Jahrhundert tobt vor den Toren Europas ein Krieg, der alle Moral- und Glaubensvorstellungen verhöhnt, der die Hoffnung auf eine friedliche Zukunft immer wieder von Neuem zunichtemacht. Und eine Heuchelei offenbart, die achselzuckend über Leichen geht.
Doch die Spuren des Krieges – die verbrannte Erde und das Leid der Menschen als Keimzelle für neuen Radikalismus – werden die Welt noch lange in Atem halten, auch wenn die Waffen in Syrien eines (wohl sehr) fernen Tages wirklich einmal schweigen sollten. Denn in den Trümmern der zerbombten Städte und Dörfer werden neue Monster gezüchtet, wie es uns die Geburt der Terrormiliz IS im zerschundenen Irak vor Augen führt.
Im blutigen syrischen Bürgerkrieg werden die involvierten Kriegsparteien einen hohen Preis bezahlen. Denn wer die Menschlichkeit begräbt, schaufelt sich sein eigenes Grab.

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