Tiroler Tageszeitung, Ausgabe vom 5. Mai 2018; Leitartikel von Mario Zenhäusern: „Die Moral blieb auf der Strecke“

Innsbruck (OTS) Es darf nicht richtig sein, neun Menschen in den Tod zu schicken und sich dann hinter einem Befehl zu verstecken. Die Welt geht über an Verfehlungen mit schwerwiegenden Konsequenzen, nur weil jemand seine „Pflicht“ erfüllte.

Ist der Befehl, sich nicht in innerstaat­liche Konflikte einzumischen, Argument genug, um neun Menschen in den sicheren Tod zu schicken? Diese Frage beschäftigt seit Tagen die Öffentlichkeit. Und das nicht nur in Österreich. Anlass ist ein Video aus dem Jahr 2012, auf dem zu sehen und zu hören ist, wie ein Auto mit neun syrischen Geheimpolizisten an einem von österreichischen UN-Soldaten bewachten Checkpoint am Mount Hermon auf den Golanhöhen im israelisch-syrischen Grenzgebiet offenbar ohne Warnung in einen Hinterhalt geschickt wird. Die Geheimpolizisten kommen ums Leben. Seither gehen die Emotionen hoch.
Die UNO spricht mittlerweile von einem „verstörenden Video“, Österreichs Verteidigungsminister Mario Kunasek stellt sich schützend vor seine Soldaten. Es habe sich um eine „ganz schwierige Situation, um eine Ausnahmesituation und Stresssituation“ gehandelt. Für den ehemaligen Kommandanten der österreichischen Blauhelme am Golan, Günther Greindl, hätten sich die Soldaten am Mount Hermon so verhalten, wie es die Befehlslage vorgesehen habe. Also richtig. Das UN-Mandat habe eindeutig festgelegt, dass sich die Soldaten nicht einmischen sollten in Kriegshandlungen der Parteien, erklärte der General im ORF-Interview, sie sollten ihre Mission unparteiisch erfüllen.
Das Verteidigungsministerium hat inzwischen reagiert und eine Untersuchungskommission eingesetzt. Auch unter Berücksichtigung des besonderen Drucks, der auf den Soldaten bei UN-Einsätzen lastet, und der speziellen Ausnahmesituation am Golan:
Es kann nicht sein, dass die Vorgangsweise der Soldaten akzeptiert wird. Es darf nicht richtig sein, neun Menschen wissentlich in den Tod zu schicken und sich dann hinter einem Befehl zu verstecken. Ein Befehl – oder in diesem Fall ein UN-Mandat – entbindet die Betroffenen nicht von der Pflicht, ihre Handlungen nach moralischen und ethischen Gesichtspunkten zu hinterfragen und zu prüfen. Die Weltgeschichte ist leider voll von menschlichen Verfehlungen mit schwerwiegenden Konsequenzen, die begangen wurden, weil irgendwer „nur einen Befehl ausgeführt“ hat.
Möglicherweise hätte es militärische Konsequenzen nach sich gezogen, hätten die UNO-Soldaten die syrischen Geheimdienstler vor dem drohenden Hinterhalt gewarnt. Im Gegenzug hätten sie neun Menschenleben gerettet. Leider ist die­se Warnung nicht erfolgt – und damit die Moral auf der Strecke geblieben.

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