Tiroler Tageszeitung, Ausgabe vom 3. Oktober 2017; Leitartikel von Christian Jentsch: „Rajoys Spiel mit dem Feuer“

Innsbruck (OTS) - Die Zentralregierung in Madrid unter Premier Mariano Rajoy begegnete dem Referendum mit massiver Polizeigewalt. Das Drehen an der Eskalationsschraube kann Spanien freilich noch teuer zu stehen kommen.

Vermummte Einheiten der paramilitärischen Polizeieinheit Guardia Civil in Kampfmontur stürmen provisorisch eingerichtete Wahllokale, schießen mit Gummigeschossen auf Demonstranten, prügeln auf Pensionisten ein: Es waren hässliche Bilder, die uns am Sonntag aus Katalonien geliefert wurden. Bilder, die so gar nicht zu einem EU-Staat wie Spanien passen. Bilder, die so gar nicht zu einer gefestigten Demokratie passen. Die Zentralregierung ging mit brachialer Polizeigewalt gegen das Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien vor. Eine Abstimmung, die von den Verfassungsrichtern im Vorfeld für illegal und von Madrid für null und nichtig erklärt worden war. Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy setzte die geballte Staats-Gewalt ein, um die unnachgiebigen Sezessionisten im Nordosten Spaniens zur Räson zu bringen. Mit Gewalt sollte die Einheit Spaniens verteidigt werden. Eine Strategie, die freilich nach hinten losgehen kann und das Vertrauen in die Zentralregierung in Madrid weiter untergräbt. Rajoy hat dem Zusammenhalt Spaniens somit einen Bärendienst erwiesen und einer weiteren Radikalisierung Vorschub geleistet.
Sicher, die Abstimmung in Katalonien wurde von der dortigen Regionalregierung im Eiltempo durchgepeitscht, ohne Rücksicht auf die dortige Opposition. Jene, die sich gegen die Unabhängigkeit Kataloniens aussprechen, gingen regelrecht unter. Eine überhastete Abspaltung Kataloniens von Spanien käme wohl einem Himmelfahrtskommando gleich, nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht. Und: Nur 42 Prozent der 5,3 Millionen Wahlberechtigten haben am Sonntag an der Abstimmung überhaupt teilgenommen.
Doch die Reaktion Rajoys war die denkbar schlechteste. Mit der exzessiven Polizeigewalt der historisch gerade in Katalonien schwer belasteten Guardia Civil wurden alte Gräben aufgerissen, die seit dem Ende der Franco-Diktatur nur mühsam überdeckt werden konnten. Und richtig gruselig wird es dann, wenn hinter dem Drehen an der Eskalationsschraube politisches Kalkül steckt. Wenn anstelle der Suche nach Ausgleich und Kompromiss auf Radikalisierung gesetzt wird, um damit die eigene Anhängerschaft zufrieden zu stellen und politisches Kleingeld zu gewinnen. Nicht nur in Barcelona sitzen die Aufpeitscher. Die spanische Volkspartei hat schon 2010 ein bereits 2006 mit Madrid ausverhandeltes Autonomiestatut für Katalonien wieder zu Fall gebracht. Und in der Folge setzte man weiter auf Kompromisslosigkeit und Härte. Ein Spiel mit dem Feuer, das Spanien zu verbrennen droht.

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