Tiroler Tageszeitung, Ausgabe vom 21. November 2017; Leitartikel von Gabriele Starck: „Deutschland hält’s aus, die EU weniger“

Innsbruck (OTS) - Nach dem Scheitern von Jamaika ist in Deutschland noch monatelang nicht mit einer Regierung zu rechnen. Statt darüber zu jammern, sollten Macron und Co. lernen, sich nicht immer nur auf Deutschland zu verlassen.

Der Musterschüler hat ausgelassen. Die (Vor-)Machtstellung Deutschlands in der Europäischen Union mag nicht immer wohlgelitten sein, doch ein schwächelndes Deutschland braucht auch niemand. So ist die Ungeduld der EU-Partner angesichts der sich ziehenden Jamaika-Sondierungen in Berlin gestern um Mitternacht der Nervosität gewichen. Und diese wird nun mit jedem Tag, jeder Woche und jedem Monat wachsen.
In Deutschland selbst ist man allerdings zu einem langen Atem verdammt. Schnelle Lösungen sind nicht mehr möglich. Die SPD wird sich auch durch die Appelle von Parteigenosse Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nicht in eine große Koalition zwingen lassen. Instabilität, sprich eine Minderheitsregierung ist in Deutschland nicht gewünscht. Und Neuwahlen auszurufen, bedarf etlicher formaler Schritte und mehrerer Monate Zeit. Eine Regierungsbildung wird danach aber auch nicht einfacher geworden sein.
Deutschland stürzt deshalb nicht ins Chaos. Die alte Regierung – samt SPD-Ministern – ist derweil weiter im Amt und kann das lange bleiben. Die Wirtschaft schimpft zwar, doch einen Abschwung befürchtet niemand angesichts der guten Wirtschaftslage. Deutschland wird auch eine länger andauernde politische Krise überstehen.
Doch was ist mit der EU? Angela Merkel ist massiv geschwächt. Zuerst das schlechte Wahlergebnis, dann ihr Scheitern bei der Regierungsbildung. Und nun ist sie auf längere Zeit nur geschäftsführend im Amt. Große Entscheidungen gerade auf EU-Ebene sind da ausgeschlossen. Für die Reformpläne von Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron ein noch herberer Schlag, als es die Regierungsbeteiligung der reformunwilligen FDP gewesen wäre.
Für die EU bedeutet dies Stillstand in einer Zeit, in der demokratiezersetzende Kräfte beängstigend an Einfluss gewinnen. Ganz zu schweigen von der Außenwirkung. Die Mitgliedsstaaten haben nicht gelernt bzw. sind nicht gewillt, auf internationalem Parkett mit einer Stimme zu sprechen. Gehört und ernst genommen wurden deshalb nur Vertreter großer und stabiler Mitgliedsländer. Vor der Wahl Macrons war dies eigentlich nur noch Merkel. Ohne eine starke deutsche Kanzlerin verliert auch die EU in der Welt wieder ein Stück weit an Einfluss. Die Hoffnung, dass sich die anderen EU-Staaten zusammenraufen und das vorübergehende Machtvakuum ausfüllen, dürfte vergeblich sein. Schimpfen und/oder jammern ist auch leichter als tun.

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