Tiroler Tageszeitung, Ausgabe vom 11. Oktober 2018; Leitartikel von Cornelia Ritzer: „Gefährlicher Freibrief für Belästiger“

Innsbruck (OTS) Ein Richter sprach Ex-Politikerin Sigrid Maurer wegen übler Nachrede schuldig. Sie machte herabwürdigende Messages sowie deren von ihr vermuteten Verfasser öffentlich. Die Politik reagiert zurückhaltend auf das umstrittene Urteil.

Die Ex-Politikerin Sigrid Maurer hat den Spieß umgedreht. Sie veröffentlichte private Facebook-Nachrichten mit verachtendem und sexuell erniedrigendem Inhalt, und sie machte das Absenderprofil publik. Statt in der Rolle eines Opfers von Hasspostings zu verharren, ging sie in die Offensive. Der Mann, Besitzer eines Biergeschäftes in Wien, bestreitet, selbst die Nachrichten von seinem Profil geschrieben zu haben. Er klagte die frühere Nationalratsabgeordnete. Das Gericht gab ihm Recht und sprach sie der üblen Nachrede schuldig. Ob das Urteil wirklich ein Skandal ist oder ob es vielleicht ungerecht, aber trotzdem richtig ist, wird die Prüfung durch die nächste Instanz zeigen. Sicher ist, dass der Richterspruch ein fatales Signal an die Öffentlichkeit sendet:
Belästiger müssen nichts befürchten, solange sie keine öffentlichen, sondern „nur“ private Nachrichten schicken. Die derzeitige Rechtslage bietet Opfern von Hass-Nachrichten kaum die Möglichkeit, sich juristisch zu wehren.
Im Verlauf des Prozesses hat sich gezeigt, dass der Richter dem klagenden Geschäftsbesitzer einen Großteil seiner Aussagen nicht glaubt. Maurer sei es aber nicht gelungen, den Wahrheitsbeweis zu erbringen, dass der Mann die E-Mails geschrieben habe. Aus diesem Grund erfolgte der Schuldspruch. Der Richter hätte anders urteilen können, trotzdem kann das viel diskutierte Urteil in diesem Punkt eine Chance sein. Die Rechtsprechung muss sich dringend weiterentwickeln und erkennen, dass die sozialen Medie­n – ihre positiven, aber auch ihre negative­n Aspekt­e – Alltag geworden sind. Der Wandel in der Gesellschaft bedeutet auch einen Wandel bei den Straftaten. Dank Face­book, Twitter und Co. ist es möglich, fast ohne Hürden mit anderen in Kontakt zu treten. Doch der scheinbar unkomplizierte Austausch löst auch negatives Echo aus. Hass im Netz ist ein reales Phänomen, das zum Großteil Frauen trifft: Das reicht von verbalen Übergriffen, verächtlichen Beleidigungen bis hin zu brutalen Drohungen. Wer an diesem Punkt von den Empfängern sexistischer Nachrichten erwartet, mit dem Belästiger in Kontakt zu treten, agiert lebensfremd.
Die zurückhaltende Reaktion der Politik auf die deutlich gewordene Problematik von Belästigungen im Internet ist unverständlich. Der Fall von Sigrid Maurer hat eine Lücke im Gesetz deutlich gemacht. Das ist der Mehrwert eines Verfahrens, dessen Urteil rechtlich einwandfrei sein mag, aber Fassungslosigkeit auslöst.

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