Sozialversicherungsreform: SPÖ befürchtet Zerstörung des Gesundheitssystems

Dringliche Anfrage an Sozialministerin Hartinger-Klein im Nationalrat

Wien (PK) Die von der Regierung geplante umfassende Strukturreform bei der Sozialversicherung beschäftigt weiter den Nationalrat. Die SPÖ befürchtet eine Zerstörung des gut funktionierenden österreichischen Gesundheitssystems und hat das Thema daher in der heutigen Plenarsitzung gleich ein zweites Mal auf die Agenda gehoben. Die Reform werde hunderte Millionen verschlingen, die öffentliche Sozialversicherung schwächen und die Privatisierung des Gesundheitssystems einläuten, prophezeit die designierte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner in einer Dringlichen Anfrage. Sozialministerin Beate Hartinger-Klein hält die Einwände hingegen für reine Angstmache, sie ist vom Erfolg der Reform überzeugt.

Die SPÖ erwartet, dass vor allem die Versicherten der Gebietskrankenkassen und deren Angehörige, insgesamt sieben Millionen Menschen, die VerliererInnen der Reform sein werden. Diese werden nur noch PatientInnen dritter Klasse sein und nicht einmal mehr selber darüber bestimmen können, welche Leistungen sie für ihre Beiträge erhalten, wird in der Dringlichen Anfrage kritisch festgehalten. Vielmehr würden künftig die Arbeitgeber-VertreterInnen, also Wirtschaft und Industrie, entscheiden, welche Gesundheitsleistungen ArbeitnehmerInnen erhalten.

Dabei sei die bestehende Selbstverwaltung effizient und werde zu rund 90 Prozent von ehrenamtlich tätigen FunktionärInnen getragen, macht Rendi-Wagner geltend. Durch die geplante Zentralisierung werde demgegenüber ein teurer bürokratischer Moloch entstehen. „Aus der Patientenmilliarde wird eine Zentralisierungsmilliarde“, rechnet die SPÖ mit einem „Milliardengrab“.

Auch andere von der Regierung vorgebrachte Argumente für die Reform sind für die designierte SPÖ-Chefin und ihre ParteikollegInnen nicht stichhaltig. Die Behauptung, die Zahl der Versicherungsträger werde von 21 auf 5 reduziert, sei ein reiner Etikettenschwindel, heißt es in der Dringlichen Anfrage. Vielmehr werde es weiterhin zehn Einrichtungen – fünf Sozialversicherungen, vier Betriebskrankenkassen und die Versicherungsanstalt des österreichischen Notariats – geben. Dazu kommen 15 Krankenfürsorgeeinrichtungen für öffentlich Bedienstete, die gar nicht angetastet würden.

Ebenso wenig die Rede kann Rendi-Wagner zufolge von einer echten Leistungsharmonisierung sein. Es werde weiterhin verschiedene Kassen mit unterschiedlichen Beiträgen und unterschiedlichen Leistungen geben. Die großen Ungleichheiten zwischen in der Privatwirtschaft Beschäftigten auf der einen Seite und öffentlich Bediensteten auf der anderen Seite würden nicht angetastet. „Die Ungerechtigkeit wird durch das Gesetz in Stein gemeißelt.“ Der Bauarbeiter werde auch künftig nicht dieselbe medizinische Versorgung erhalten wie der Beamte.

Das Leben der Menschen werde durch den Gesetzentwurf nicht verbessert, so die Conclusio Rendi-Wagners. Es gebe wohl ein paar Profiteure, diese seien aber nicht die PatientInnen, nicht die KrankenpflegerInnen und auch nicht die ÄrztInnen. Auch gebe der Entwurf keine Antwort auf drängende Probleme wie den Ärztemangel am Land, die langen Wartezeiten, die Zunahme chronischer Krankheiten und den steigenden Pflegebedarf.

Weitere in der Dringlichen Anfrage angeführte Kritikpunkte betreffen die Entziehung von Geldern aus dem Gesundheitssystem in Richtung „Großkonzerne“ und Privatversicherte, die Verschiebung der Beitragsprüfung von den Gebietskrankenkassen zur Finanzverwaltung und das vorgesehene Rotationsprinzip im neuen Dachverband der Sozialversicherungsträger. Offenbar solle eine wirksame Interessenvertretung der Sozialversicherung beseitigt werden, mutmaßt die SPÖ.

Hartinger-Klein: SPÖ schürt mit unhaltbaren Vorwürfen Ängste

Sozialministerin Beate Hartinger-Klein sprach demgegenüber von unhaltbaren Vorwürfen. Die SPÖ schüre unberechtigter Weise Ängste, kritisierte sie. Es werde keine Leistungsverschlechterungen für die Versicherten geben. Das sei nirgendwo im Gesetz festgeschrieben. Alle Gesundheitsleistungen blieben erhalten. Warum solle eine Strukturbereinigung die Qualität der Leistungen verschlechtern? fragte sie. Auch die Einführung neuer Selbstbehalte wurde von der Ministerin ausgeschlossen.  

Reformen hält Hartinger-Klein angesichts des Zustands des Gesundheitssystems für dringend geboten. „Wir haben den Mut zur Veränderung.“ Jetzt, wo die neue Regierung das Ruder übernommen habe, könne man wieder mit Zuversicht in die Zukunft blicken. Die SPÖ habe hingegen die Zeichen der Zeit verschlafen und durch ihre Politik die Zwei-Klassen-Medizin gefördert.

Unter anderem machte die Ministerin die SPÖ dafür verantwortlich, dass es immer mehr Wahlärzte und immer weniger Kassenärzte gibt und die privaten Ausgaben für Gesundheitsleistungen steigen. Hier gelte es gegenzusteuern. Das vorliegende Reformpaket enthalte in diesem Sinn auch Anreize für KassenärztInnen.

Auch der Vorwurf der SPÖ, die Fusion würde übereilt erfolgen, geht nach Meinung von Hartinger-Klein ins Leere. Diese sei intensiv vorbereitet worden. Auf die Kritik des Rechnungshofs an den finanziellen Erläuterungen habe man reagiert und diese überarbeitet. Am wiederholt genannten Einsparungsziel von 1 Mrd. € hielt Hartinger-Klein fest: Dieses könne durch eine Reduktion des Personal- und Sachaufwands um 30% lukriert werden. Der aktuelle Verwaltungsaufwand bei den Kassen sei jedenfalls wesentlich höher als allgemein kolportiert werde.

Was die Fusionskosten betrifft, wollte sich Hartinger-Klein nicht auf Zahlen festlegen. Das unterliege der Entscheidung der Selbstverwaltung, sagte sie. Sie wundere sie jedenfalls, dass die Opposition die Kosten bereits kenne.

Zur Selbstverwaltung merkte Hartinger-Klein an, diese werde nicht ausgeschaltet, sondern lediglich verkleinert. Zudem hält sie es für gerechtfertigt, dass sich die Sozialpartner in den Kassen künftig auf Augenhöhe gegenüber stehen und nicht mehr die ArbeitnehmervertreterInnen dominieren. Das Rotationsprinzip im Dachverband habe sich auch in anderen Bereichen bewährt und sei ein gutes Instrument, um Interessen auszugleichen.

Kurz und bündig beantwortete Hartinger-Klein dann die 55 Detailfragen der Dringlichen Anfrage. Unter anderem hielt sie dabei fest, dass die Bedenken der Bundesländer in Bezug auf mögliche Mehrkosten, die die Fusion für die Länder bringe, zerstreut werden konnten. Eine nächste Gesprächsrunde ist ihr zufolge für November vorgesehen.

Von der Bündelung der Beitragsprüfung bei der Finanz erwartet sich die Ministerin eine weitere Effizienzsteigerung. Es werde zu keinerlei Qualitäts- oder Kontrollverlusten kommen, versicherte sie. Von der Beiziehung externer Beratungsfirmen zur Umsetzung der Fusion hält sie nichts.

Eine erste Diskussion über das Reformpaket hatte es bereits in der Aktuellen Stunde gegeben (siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 1153/2018). (Fortsetzung Nationalrat) gs

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