Rudolf Burger: „Debatte um das Kopftuch darf nicht als harmlos abgetan werden“

Philosoph Rudolf Burger im Gespräch mit Moderator Michael Fleischhacker über sein neues Buch „Multikulturalismus, Migration und Flüchtlingskrise“

Wien (OTS) Am 10. April 2019 sprach der Wiener Philosoph und Autor Rudolf Burger auf Einladung des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) in Wien über sein neues Buch „Multikulturalismus, Migration und Flüchtlingskrise“, die nötige sachliche Diskussion über Herausforderungen bei der Integration von Flüchtlingen, die Sinnsuche des Einzelnen in einer diversen und komplexen Gesellschaft sowie die Gefahr der Zuwendung von Muslimen zu fundamentalistischen Strömungen. Moderiert wurde das Podiumsgespräch im Wiener Leopold Museum von Journalist Michael Fleischhacker, Geschäftsführer der Medien- und Rechercheplattform Quo Vadis Veritas.

„Die Kategorien ‚Rechts‘ und ‚Links‘ erfassen nicht mehr die Wirklichkeit“

In der Debatte rund um die Herausforderungen bei der Integration von mehrheitlich muslimischen Zuwander/innen plädiert Rudolf Burger für einen sachlichen Diskurs: „Hier braucht es Platz für kritische Positionen gegenüber dem Islam. Die Kritik am Katholizismus ist seit jeher ein Topos der Linken in der westlichen Kultur, sich islamkritisch zu äußern wird im gesellschaftlichen Diskurs fälschlicherweise als ‚rechte‘ Position bezeichnet.“ Dabei sei es laut Burger wichtig, auf die Verwendung dieser polemischen Begriffe zu verzichten: „Die Kategorien ‚rechts‘ und ‚links‘ haben ihre Wurzeln in der Vergangenheit. Diese Zuschreibungen haben nur solange Sinn, wie beide Begriffe in einem vektoriellen Geschichtsverständnis zu einander stehen. Sie erfassen aber schon lange nicht mehr die komplexe Wirklichkeit, in der wir leben.“ Das Festhalten an diesen Begrifflichkeiten würde einem offenen und unaufgeregten Austausch über die gegenwärtigen Herausforderungen bei der Integration entgegenstehen.

Wichtig für Integration: Dramatik der Situation erkennen

Damit die Integration von Menschen aus stark muslimisch geprägten Ländern funktionieren könne, müsse die Gesellschaft laut Burger die Dramatik der Situation und die damit verbundenen Probleme nüchtern erkennen: „Der Islam ist Politik. Staat und Glaube fließen dort zusammen – eine Gewaltentrennung gibt es nicht. Das prägt auch das Verständnis jener Menschen, die zuwandern. Dieses Verständnis steht unserem liberalen entgegen.“ Es brauche daher einen Aufklärungsprozess innerhalb des Islam, so Burger. Unter Verweis auf die europäische Geschichte betonte er jedoch, dass eine solche nicht erzwungen werden könne: „Die europäische Aufklärung kann man nicht verordnen, sie war ein langer Prozess. Sie war eine Reaktion auf militärisch und theologische nicht lösbare Konflikte wie etwa die Konfessionskriege.“ Das Verhältnis der westlichen und der islamischen Kultur sei laut Burger vor allem von Kränkungs- und Überlegenheitsgefühlen geprägt: „Die islamische Welt musste im Laufe der Geschichte zahlreiche Kränkungen durch den Westen erleben, denkt man allein nur an den Ägyptenfeldzug Napoleons. Diese Kränkungen zu überwinden liegt an ihr.“

„Kopftuch ist ein Symbol für etwas Dahinterstehendes“

Auf die Frage, ob die Debatte um religiöse Symbole wie etwa das Kopftuch, nicht dem Liberalismus einer aufgeklärten Gesellschaft, wie der österreichischen, entgegenstehe, antwortete Burger: „Die Diskussion um das Kopftuch darf nicht als harmlos abgetan werden. Natürlich könnte man fragen, warum wir das überhaupt diskutieren. Schließlich tragen manche Frauen auf dem Land immer noch eines bei der Arbeit – das ist aber nicht der Punkt. Wir müssen uns bewusstmachen, dass es im Islam ein Symbol für mehr ist. Für etwas das dahintersteht.“ Für ihn sei es ein langsamer Veränderungsprozess, bei dem Symbole des politischen Islam langsam in eine säkulare Gesellschaft einfließen: „Die Griechen hatten für diese Art von Prozess den Begriff des „Sorites Paradox“. Es beschreibt die Frage, wie viele Sandkörner es brauche, bis ein Sandhaufen entstehe.“ Liberale Gesellschaften seien laut Burger im Umgang mit diesen Veränderungsprozessen überfordert.

„Religiöser Fundamentalismus ist mögliche Reaktion auf Orientierungslosigkeit“

Dass sich besonders Jugendliche extremen, religiösen Gruppierungen, wie etwa dem IS anschließen, liege unter anderem in der Orientierungslosigkeit der modernen Gesellschaft begründet: „Jugendliche, die sich im Westen dem Islamischen Staat anschließen, sind der Extremfall empfundener Orientierungslosigkeit“, betont Burger. Für sie sei diese fundamentalistische Ideologie ein enormes Sinnangebot gegen empfundene Leere: „Menschen wissen um das tröstende Element sinnstiftender Ideologien. Fundamentalismus transportiert ein Sinnversprechen – das kennen wir auch aus der säkularen westlichen Gesellschaft und der Herausbildung extremer linker oder rechter Philosophien und Gruppierungen.“ Die Orientierungslosigkeit und Sinnsuche der Menschen sowie die Sehnsucht nach Religion sei bereits von anderen Intellektuellen, wie etwa Georg Lukács als „transzendale Obdachlosigkeit des Menschen“ angesprochen worden.

Neuerscheinung: Buch zu Themen Migration und Multikulturalismus

Rudolf Burgers neues Buch „Multikulturalismus, Migration und Flüchtlingskrise. Essays und Gespräche“ mit Beiträgen von Konrad Paul Liessmann und Peter Strassee wurde von Bernhard Kraller herausgegeben und im Sonderzahl-Verlag veröffentlicht. Es ist ab sofort erhältlich: https://www.ots.at/redirect/sonderzahl.

Nächstes ÖIF-Gespräch: Historiker Walter Scheidel am 6. Mai 2019 in Wien

Der Österreichische Integrationsfonds lädt regelmäßig Wissenschaftler/innen, Historiker/innen, Philosoph/innen und Autor/innen zu Podiumsgesprächen und Lesungen, um die Bedeutung einer gemeinsamen Wertebasis für das Zusammenleben sowie die gesellschaftlichen Herausforderungen und aktuelle Entwicklungen im Bereich der Integration aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten. Am 6. Mai spricht Historiker Walter Scheidel mit Journalistin Gudula Walterskirchen im Architektur Zentrum Wien (Podium). Alle Informationen und Details finden Sie unter www.integrationsfonds.at/veranstaltungen.

Rückfragen & Kontakt:

Österreichischer Integrationsfonds
Aleksandra Klepic
+43 1 710 12 03 – 331
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