Persönlichkeitsschutz von Kindern reicht besonders weit

Wien (OTS) Der Artikel „Behörde nimmt Kinder ab“, erschienen in den „NÖN Gänserndorf“, sowie dessen Onlineversion verstoßen nach Meinung des Senats 1 des Presserats gegen den Ehrenkodex für die österreichische Presse.

Im Artikel wird berichtet, dass ein dreijähriges Mädchen kurz vor Weihnachten ohne Vorwarnung vom Jugendamt aus dem Kindergarten abgeholt worden sei. Das Jugendamt habe eine Gefahrensituation geortet, dem Vater werden sexuelle Übergriffe gegen das eigene Kind vorgeworfen. Dabei werden der Vor- und Nachname des Vaters sowie dessen Wohnort genannt. Ihre drei Söhne seien der Familie bereits früher von der Behörde abgenommen worden und würden sich aktuell in einer Betreuungseinrichtung aufhalten, wobei im Artikel der Name und der Ort der Betreuungseinrichtung genannt werden. Zudem wird berichtet, dass der Vater völlig verzweifelt sei, er wird damit zitiert, dass die Vorwürfe der Behörde völlig aus der Luft gegriffen seien. Mittlerweise gebe es bereits ein Gerichtsurteil, das das Vorgehen des Jugendamtes bestätige. Die NÖN habe die Behörde kontaktiert. Für das Jugendamt stelle sich der Fall klar dar. Der Bezirkshauptmann wird damit zitiert, dass die Abnahme zu Recht erfolgt sei. Im Fall des Mädchens habe eine eindeutige Gefährdungssituation vorgelegen, bei der das Jugendamt habe einschreiten müssen.

Eine Leserin wandte sich an den Presserat und kritisierte, dass hier die Persönlichkeits- und Intimsphäre der Kinder, insbesondere der dreijährigen Tochter, verletzt seien. Die Kinder werden ihrer Ansicht als potentielle Verbrechensopfer gebrandmarkt.

Der Chefredakteur und der Leiter der zuständigen Lokalredaktion brachten in der Verhandlung vor, dass es hier auch um den Vater, der mit der Namensnennung einverstanden gewesen sei, und seiner Auseinandersetzung mit der Behörde gegangen sei. Der Fall sei berichtenswert gewesen, Konflikte von Bürgern mit Behörden seien für die Allgemeinheit von Bedeutung. Außerdem sei der Name des Mädchens nicht genannt worden, lediglich das Alter. Die Interessen von Kindern seien natürlich besonders zu berücksichtigen und man könne diskutieren, inwiefern man Details beschreiben müsse. Dennoch erachte man den Bericht als legitim.

Der Senat hält zunächst fest, dass das betroffene Mädchen durch die Bekanntgabe seines Alters sowie des Namens seines Vaters und dessen Wohnortes (an dem es bis zur Abnahme durch das Jugendamt wohnte und den Kindergarten besuchte) für einen größeren Personenkreis identifizierbar ist. Das gilt auch für die drei Söhne, die schon früher vom Jugendamt abgeholt worden waren, wenngleich deren Alter im Artikel nicht angeführt wurde. Darüber hinaus wurde im Artikel auch der derzeitige Aufenthaltsort der Söhne veröffentlicht.

Eingriffe in den Persönlichkeitsschutz eines Kindes beeinträchtigen dessen Entwicklungsmöglichkeiten, so der Senat weiter. Kinder müssen unbefangen und frei von öffentlicher Beobachtung aufwachsen können. Persönlichkeitsverletzungen sind bei Kindern besonders schwerwiegend, weil sie sich erst zu eigenverantwortlichen Personen entwickeln müssen. Ihre Persönlichkeitsentfaltung kann deshalb leichter und nachhaltiger gestört werden als die von Erwachsenen.

Der Senat stimmt mit den Vertretern des Mediums zwar darin überein, dass es ein öffentliches Interesse daran gibt, Personen, die vielleicht Opfer von ungerechtfertigtem behördlichem Handeln geworden sind, in Medien zu Wort kommen zu lassen. Dieses öffentliche Interesse an der Berichterstattung reicht nach Ansicht des Senats im konkreten Fall jedoch nicht aus, um einen Eingriff in die Persönlichkeits- und Intimsphäre der Kinder zu rechtfertigen: Die Vorwürfe betrafen die Verletzung der sexuellen Integrität des Mädchens bzw. allgemein die Beeinträchtigung des Kindeswohls. In diesem Zusammenhang ist auch auf Punkt 6.2 des Ehrenkodex hinzuweisen, wonach bei Kindern dem Schutz der Intimsphäre Vorrang vor dem Nachrichtenwert einzuräumen ist.

Der Senat stellt den Verstoß gegen den Ehrenkodex fest und fordert die Medieninhaberinnen der NÖN und von „noen.at“ auf, die Entscheidung freiwillig in den betroffenen Medien zu veröffentlichen.

SELBSTÄNDIGES VERFAHREN AUFGRUND EINER MITTEILUNG EINER LESERIN

Der Presserat ist ein Verein, der sich für verantwortungsvollen Journalismus einsetzt und dem die wichtigsten Journalisten- und Verlegerverbände Österreichs angehören. Die Mitglieder der Senate des Presserats sind weisungsfrei und unabhängig.

Im vorliegenden Fall führte der Senat 1 des Presserats aufgrund einer Mitteilung einer Leserin ein Verfahren durch (selbständiges Verfahren aufgrund einer Mitteilung). In diesem Verfahren äußert der Senat seine Meinung, ob eine Veröffentlichung den Grundsätzen der Medienethik entspricht.
Die Medieninhaberin der Wochenzeitung „NÖN – Niederösterreichische Nachrichten“
hat von der Möglichkeit, an dem Verfahren teilzunehmen, Gebrauch gemacht.

Die Medieninhaberin der Wochenzeitung „NÖN – Niederösterreichische Nachrichten“ hat die Schiedsgerichtsbarkeit des Presserats anerkannt.

Rückfragen & Kontakt:

Tessa Prager, Sprecherin des Senats 1, Tel.: 01/21312-1169



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