Österreichische ExpertInnen auf der Suche nach neuen Strategien für die Medikamentenentwicklung

Die Preisbildung bei Arzneimitteln sowie „Innovative Medizin“ wurden beim European Health Forum Gastein diskutiert

Wien (OTS) Die Preisbildung bei Arzneimitteln sowie „Innovative Medizin“ waren gestern bei einem ExpertInnentreffen in Wien die durchaus kontrovers diskutierten Themen. Zu diesen Gesprächen eingeladen hatten das Bundesministerium für Gesundheit und Frauen, das European Health Forum Gastein (EHFG) und der Hauptverband der Sozialversicherungen. Mit diesen beiden Themenschwerpunkten hatte man sich bei der vergangenen EHFG-Konferenz in Gastein bereits intensiv auseinandergesetzt, jetzt wurden die Problemfelder noch einmal gezielt im österreichischen Kontext betrachtet.

Die Kernaussagen der ExpertInnen: Die Arzneimittelpreise sind aus dem Ruder gelaufen. Dies sei kein österreichisches Problem, sondern ein internationales. Pharmabetriebe sind börsennotierte Wirtschaftsunternehmen und fühlen sich ihren Aktionären verpflichtet – diese wollen Gewinne sehen. Das führe einerseits zu einer inzwischen unrealistischen Preisbildung für Medikamente, aber auch zu einer einseitig verzerrten Forschung- und Produktentwicklung.  

Nutzen der Medikamente evaluieren

Clemens Martin Auer, Sektionsleiter im Bundesministerium für Gesundheit und Frauen und Präsident des EHFG: „Für bestimmte Therapien werden im Jahr 2020 um bis zu 30 Prozent höhere Kosten anfallen als 2016. Um sicherzustellen, dass neue Arzneimittel und medizinischen Technologien auch die Qualität und den therapeutischer Nutzen, den sie versprechen, bringen, ist es essentiell diese systematisch und europaweit nach denselben Standards zu evaluieren.“ Innovationen müssten belohnt werden, dazu sei es aber wichtig, das notwendige Werkzeug zur Verfügung zu haben, um Innovation als solche zu erkennen.

Für Auer gelte es, den niederschwelligen Zugang zu innovativen Arzneimitteln und die gute Versorgungslage in Österreich nachhaltig – auch im Hinblick auf die Finanzierbarkeit – sicherzustellen. „Kostenrealität ist erst dann gegeben, wenn wir wissen, welche Kosten tatsächlich in der Entwicklung anfallen. Wenn die Industrie an einer Partnerschaft interessiert ist, kann es auch für sie auf lange Frist keine Option sein, den Behörden essentielle Preisinformationen vorzuenthalten.“  

Hochpreispolitik von Pharma-Konzernen gefährdet Gesundheitssysteme

Josef Probst, Generaldirektor im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger sieht eine starke Dynamik bei hochpreisigen Medikamenten: „Innovative Arzneimittel bieten vielfach tolle Behandlungsmöglichkeiten, sind mitunter jedoch extrem teure Innovationen und somit nicht für alle Menschen leistbar. Daraus ergibt sich, dass einerseits Menschen von notwendigen Behandlungen ausgeschlossen und andererseits öffentliche Gesundheitssysteme durch die exorbitante Ausgabensteigerungen existenziell gefährdet werden.“

Auch in einem wohlhabenden Land wie Österreich entwickeln sich hochpreisige Arzneimittel zu einem mehr und mehr bestimmenden Faktor. „Derzeit verursachen 0,5 Prozent der von uns bezahlten hochpreisigen Medikamente ein Drittel der Medikamentenkosten der Krankenkassen“, so Probst zur aktuellen Situation. „Daher muss der Interessenkonflikt zwischen Gewinnmaximierung, Teilhabe aller Menschen am Fortschritt des Gesundheitswesens und nachhaltiger Stabilität der öffentlichen Gesundheitssysteme politisch besser ausbalanciert werden.“

Systemfehler führen zu einseitiger Forschung

Claudia Wild, Leiterin des Ludwig Boltzmann Instituts für Health Technology Assessment (LBI-HTA) sowie Mitglied des EU-Expert Panels “Effiziente Wege im Gesundheitsinvestment”:  „Bestehende Steuerungs-und und Regulierungsinstrumente sind zahnlos, die Instrumente zur Innovationsstimulation versagen. Nur 50 Prozent der neu zugelassenen Medikamente zeigen Zusatznutzen. Einen der zahlreichen „Systemfehler“ sieht Wild darin, dass die Finanzierung der Medikamenten-Zulassungsbehörde durch die Einreicher, also die Pharmawirtschaft erfolgt. Sie fordert daher, dass die Repräsentanten des öffentlichen und solidarisch finanzierten Gesundheitswesens sich die Definitionshoheit von medizinischen Innovationen und die Verhandlungsmacht von der Privatwirtschaft zurückholen muss.

Ein Schritt sei die Offenlegung der tatsächlichen Forschungskosten, da diese durch diverse Forschungsförderungen zum Teil durch öffentliche Mittel aufgebracht werden. Um zu neuen Strategien in der Erforschung und Zulassung von Medikamenten zu kommen, müssen die Forschungsfragen anders definiert sein, so Wild. „Wo liegen die vorrangigen Krankheitsfelder, wo liegen die vernachlässigten Bedürfnisse der Patienten, wie groß muss ein Zusatznutzen sein, damit ein Produkt als Innovation eingestuft und solidarisch finanziert wird – das sind Fragen, die verstärkt angegangen werden müssen.“

Österreich – ein erfolgreiches Land in der Medikamentenforschung

Oliver Huber, Geschäftsführer des Verbandes der pharmazeutischen Industrie (Pharmig): „Pharmazeutische Unternehmen gehorchen wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten, wie alle Unternehmen. Gewinnorientierung ist schlichtweg eine Notwendigkeit, denn nur so kann in weitere Forschungsprojekte reinvestiert werden. Darüber hinaus handelt es sich dabei auch um eine Investition in die Zukunft eines Unternehmens. Künftige Erträge sichern nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit und das Wachstum, sondern auch Arbeitsplätze.

Es muss daher auch in der Hoheit des jeweiligen pharmazeutischen Unternehmens liegen, zu entscheiden, in welchen Bereichen geforscht wird. Weltweit sind derzeit 7000 neue Arzneimittel in Entwicklung. In den fünf Jahren von 2011 bis 2016 wurden in Österreich 178 neue Medikamente zugelassen, zur Bekämpfung von Lebensstilerkrankungen genauso wie von seltenen Erkrankungen. Damit zeigt sich, wie breit Arzneimittelforschung betrieben wird.

20 Jahre Europäisches Gesundheitsforum Gastein

Dorli Kahr-Gottlieb, Geschäftsführerin des EHFG: „Das Expertentreffen in Wien hat nicht nur die  Themen des vergangenen Forums im nationalen Kontext vertieft, es war auch ein spannender Brückenschlag zur kommenden Konferenz. Das 20. Europäische Gesundheitsforum Gastein steht unter dem Generalthema „Health in all Politics – a better future for Europe“ und findet vom 4. bis 6. Oktober 2017 in Bad Hofgastein statt. Die Konferenz zielt darauf ab, die in der Wissenschaft entwickelten Konzepte der „Gesundheit in allen Politikbereichen“ auch auf der Ebene der politischen Entscheider verstärkt zu verankern.“

Rückfragen & Kontakt:

Bundesministerium für Gesundheit und Frauen
Martin Hechenblaickner, MA
Pressereferent
+43 1 71100 644511
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