Leitartikel „Arbeiten hat nicht immer Saison“ vom 08.08.2019 von Anita Heubacher

Innsbruck (OTS) Selbst in Zeiten der Hochkonjunktur arbeitet nur jeder zweite Tiroler Arbeitnehmer Vollzeit das ganze Jahr. Dafür darf er als Dank 87 Prozent der Lohnsteuer zahlen. Das geht sich nicht mehr aus, dazu ist die Mittelschicht zu geschwächt.

Von Anita Heubacher
In den letzten Jahren ist es uns gut gegangen. Die Wirtschaft brummt. Das politische Zauberwort der Vollbeschäftigung wurde praktisch in die Tat umgesetzt. So wenig Arbeitslose und so viele Jobs wie noch nie. Bei genauer Betrachtung sollte man sich aber von der Quantität der Jobs nicht ablenken lassen, die Qualität steht auf einem anderen Blatt Papier. Und die passt nicht. Der Anteil von Saison- und Teilzeitarbeitenden ist in Tirol zu hoch, ihre Einkommen sind zu niedrig.
Nur jeder zweite Tiroler Arbeitnehmer arbeitet das ganze Jahr Vollzeit. 46 Prozent, das sind verdammt wenige. Sie erwirtschaften 73 Prozent der Bruttoeinkommen, zahlen 87 Prozent der Lohnsteuer und drei Viertel der Sozialversicherungsbeiträge. Bei den Zahlen der Arbeiterkammer Tirol musste man diese Woche schon einen guten Magen haben, um als unselbstständig Erwerbstätiger in Vollzeit sein Frühstückskipferl gut verdauen zu können.
Das geht sich nicht mehr aus. Das wird auch die von Türkis-Blau angerissene Steuerreform nicht ändern, falls die überhaupt noch jemals zur Gänze kommt. Die Steuerlast hat nicht nur in Österreic­h, sondern auch in Deutschland die Mittelschicht erstickt. Deren Ende wird in immer kürzer werdenden Abständen ausgerufen, wie zuletzt vom deutschen Journalisten Daniel Goffart. Sein Buch sorgt in Deutschland für Diskussionen. Einig sind sich die Apologeten in einem: Sie verweisen allesamt auf die in den letzten Jahrzehnten gesunkenen oder im besten Fall stagnierenden Realeinkommen der Arbeitnehmer. Der Durchschnittsverdiener muss, so er denn nicht erbt oder etwas geschenkt bekommt, immer mehr für das Wohnen bezahlen. Hat er etwas auf der hohen Kante, schmilzt es aufgrund der Niedrigzinsen vor sich hin. Mit der Aussicht konfrontiert, künftig vielleicht sogar fürs Sparen etwas bezahlen zu müssen, beginnt der Glaubenssatz, Leistung lohnt, immer mehr zu wanken.
Schaffen es die nächsten Bundesregierungen nicht, den Mittelstand zu entlas­ten, bröckelt das System. Die Steuerlast gehört massiv umgelegt. Es kann nicht sein, dass der der Dumme ist, der in Österreich sesshaft ist, hier arbeitet oder ein Unternehmen aus dem Boden stampft, während sich andere ein Steuerloch anderswo in Europa oder auf den Cayman Islands suchen. Wenn sich Vollzeitarbeit immer weniger lohnt, wie soll das die zweite Hälfte aus der Teilzeit oder der Saisonarbeit locken? Es braucht radikale Schritte.

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