Konferenz: Antisemitismus und Hasskriminalität im digitalen Zeitalter

Wiener Dialog zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit

Wien (OTS/Wien) - Die Internationale Vereinigung jüdischer Anwälte und Juristen (IAJLJ) und Lansky, Ganzger & Partner Rechtsanwälte (LGP) luden am 20. Juni 2017 zur Auftaktveranstaltung des Wiener Dialogs zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit in die Österreichische Kontrollbank (OeKB). Der Wiener Dialog "Countering Antisemitism and Hate Crime in the Digital Age" knüpft an der von der Internationalen Vereinigung jüdischer Anwälte und Juristen (IAJLJ) und der Universität Tel-Aviv mit Unterstützung der Ministerien für Inneres und Justiz im Jahr 2015 organisierten Konferenz an. Er bildet das Forum für den Austausch über geeignete Instrumente in der Bekämpfung von Antisemitismus und Hasskriminalität. So soll der im Jahr 2015 erfolgreich gestartete Denkprozess vertieft werden. Der Einladung zum Dialog folgten rund 70 Gäste, darunter Staatssekretärin Muna Duzdar.

Warnende Worte im Vorfeld zum Al-Quds-Tag

„Der Hass der Worte schlägt schnell in den Hass der Taten um. Das Internet wirkt als Katalysator für Hate Speech. Deshalb müssen wir der Kultur des Hasses die Kultur des Miteinander entgegenstellen“, so Staatssekretärin Muna Duzdar in Ihren Begrüßungsworten. Sie setze sich mit ihrer Initiative gegen Netzhass für die Ausbildung sogenannter „digitaler Botschafter“ zur Stärkung der „digitalen Zivilcourage“ und für die Etablierung einer zentralen Meldestelle gegen Hass im Internet ein. Man wolle damit eine Vorreiterrolle in der EU übernehmen. Michael Schwanda, Leiter der Präsidialsektion des Bundesministeriums für Justiz (er war in Vertretung für Justizminister Wolfgang Brandstetter anwesend), stellte das Ausbildungsprogramm „Justiz und Zeitgeschichte“ für Richteramtsanwärter vor. Das verpflichtende Curriculum sieht Schulungen im Bereich „Wissen über die NS-Zeit“, Besuche in Gedenkstätten, vertiefende Symposien zur Zeitgeschichte und Gespräche mit Zeitzeugen vor. Peter Gridling, Direktor des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, verwies auf die Zahlen des Verfassungsschutzberichts, wonach die Zahl extremistischer Taten seit Jahren kontinuierlich steige. „Der Flüchtlingsstrom hat viele Menschen in Österreich verunsichert, die Zahl fremdenfeindlicher Straftaten ist auf das Dreifache gestiegen.“ Gridling zeigte sich angesichts dieser Entwicklung weniger zuversichtlich als die Staatssekretärin und forderte von der Politik ein engagiertes Eingreifen für Prävention und Bewusstseinsbildung in der Zivilgesellschaft.

Tätern ist Tragweite ihrer Verbrechen im Internet oft nicht bewusst

Laut Gastgeber Gerald Ganzger, er ist als Rechtsanwalt regelmäßig mit Verfahren wegen Antisemitismus und Hasskriminalität befasst, muss die Prävention von Antisemitismus und Hassverbrechen sowohl spezial-präventiv als auch general-präventiv wirken. Täter müssten von künftigen Straftaten abgehalten werden, Hasskriminalität im Internet müsse über die rein strafrechtliche Verfolgung hinaus gesellschaftlich geächtet werden. „Hassdelikte im Internet sind keine Kavaliersdelikte. Diese Botschaft muss der Gesellschaft über die Medien kommuniziert werden.“

Kampfzone Internet und Appell für Paradigmenwechsel in Europa

„Mit der fortschreitenden Digitalisierung hat sich ein neuer Schauplatz für Antisemitismus und Hasskriminalität eröffnet“, lautet der Befund des Präsidenten der Israeltischen Kultusgemeinde (IKG) Oskar Deutsch. Die jüngsten Vorfälle im akademischen Betrieb (antisemitische Chat-Gruppen bei Studierenden) hätten gezeigt: „Antisemitismus ist weder an bestimmte Altersgruppen noch an soziale Schichten gebunden. Der Schlüssel zur Durchbrechung entsprechender Stereotypen liegt daher in der Arbeit mit Jugendlichen. Digitale Medien haben hierbei eine wichtige Funktion. Wir müssen unseren Mitmenschen im Dialog begegnen, aber auch mit Konsequenz im Fall von Straftaten“, so Oskar Deutsch beim Wiener Dialog zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit. Ariel Muzicant, Ehrenpräsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) und Vizepräsident des Europäisch-Jüdischen Kongresses (EJC), mahnte die Politik zu mehr Mut. „Mit Wutmenscheninitiativen kann man nicht überzeugen. Wir müssen alle Hebel in Bewegung setzen, um europäische Werte zu bewahren. Das erfordert einen Paradigmenwechsel, denn Extremismus kann in Europa keinen Platz haben.“

Doron Rabinovici: Man kann dem Juden nicht verzeihen, was man ihm angetan hat

Sekundärer Antisemitismus, die Leugnung von Verbrechen, die Verkehrung von Opfern und Tätern – der Begriff „neuer Antisemitismus“ verweist auf Kontinuitäten und Diskontinuitäten zugleich. Autor Doron Rabinovici: „Die Justiz bietet den Rahmen, die inhaltliche Klärung im Einzelfall geregelt voranzutreiben. (…) Die bürgerliche Öffentlichkeit wird zusehends von sozial separierten Foren ersetzt. Die Medien redaktioneller Verantwortung geraten in Generalverdacht. Nicht gemeinsame Visionen, sondern partikulare Verschwörungstheorien werden zum größten gemeinsamen Nenner. Die sozial digitalen Privatunternehmen sind es, die ihre eigenen Regeln bestimmen, wobei sie dabei vor allem der Profitlogik unterliegen. Die digitale Kommunikation funktioniert partikularistisch und globalisiert vernetzt zugleich. Nicht die gesicherte Erkenntnis, sondern die sensationelle Bestätigung eigener Vorurteile findet virale Verbreitung. Es geht um die Verteidigung der demokratischer Institutionen und der pluralistischen Öffentlichkeit. Es braucht die Justiz als Ort der geregelten Verhandlung. Als Ort republikanisch demokratischer Autorität. Vielleicht genügt die bloße Verteidigung zivilisatorischer Mindeststandards bereits nicht. Wir müssen das Terrain der Öffentlichkeit zurückgewinnen, sonst werden wir vom Vormarsch autoritärer Populisten überrollt.

Mechanismen der Online-Kommunikation verstehen

Der Befund der Journalistin Ingrid Brodnig: „Die Anonymität und Unsichtbarkeit lässt Facebook zum neuen Einfallstor für Antisemitismus werden.“ Die Social-Media-Expertin hat anlässlich der Konferenz das Kommunikationsverhalten in verschiedenen (einschlägigen) Facebook-Gruppen analysiert und spricht in der Terminologie des U.S.-amerikanischen Psychologen John Suler von „Online-Enthemmung“. „Man muss dem Opfer nicht in die Augen sehen und die Kommunikation erfolgt zeitlich verschoben“. Mit alarmierenden Zahlen ließ Yogev Karsenty, Direktor des Forums gegen Antisemitismus im Diaspora-Ministerium des Staates Israel, aufhorchen: Im Schnitt erreiche aktuell ein Hassposting durch Likes und Retweets im Internet rund 3.000 Menschen, was auf einen enormen Multiplikatoreffekt schließen lasse. Ein qualitativer Blick auf die Postings im deutschsprachigen Raum zeige, dass diese häufig in sehr schlechter sprachlicher Qualität verfasst seien. „Facebook, Twitter und Co haben sich die Verurteilung von Hate Speech auf die Fahnen beziehungsweise in die Firmen-Policy geschrieben. Dies spiegelt sich aber nicht im Löschverhalten wider“, kritisierte der Experte des Diaspora-Ministeriums. Als Strategie forderte Yogev Karsenty globale Regulierung („geo blocking policy“) und entsprechende ausformulierende Gesetze auf nationalstaatlicher Ebene. Auch IT-Unternehmen sollten stärker zur Verantwortung gezogen werden. IAJLJ-Präsidentin Irit Kohn verwies in diesem Kontext auf die israelische Expertise in der Bekämpfung von Antisemitismus und Hassverbrechen im Internet. „In Israel wird intensiv zum Antisemitismus und zu Hassverbrechen im Internet geforscht, diese Erfahrung bietet sich für einen Wissenstransfer. Deshalb versuchen wir, Delegationen nach Israel einzuladen. Die IAJLJ versteht sich gerade beim Thema Antisemitismus und Hasskriminalität als Vermittler im Dienst der Menschlichkeit und der Annäherung von unterschiedlichen Kulturen.

Als Opfer die eigenen Rechte durchsetzen

Julia Andras und Kevin Barrett, beide Juristen haben sich bei der Wiener Anwaltskanzlei Lansky, Ganzger & Partner (LGP) auf Hasskriminalität im Internet spezialisiert, orten massiven Anpassungsbedarf bei den Opferrechten. Zwar habe der Gesetzgeber auf die aktuelle Entwicklung, zum Beispiel auf die Verdoppelung relevanter Verdachtsmeldungen innerhalb von nur drei Jahren, reagiert und eine Öffentlichkeitsschwelle von 30 Personen eingezogen. Dennoch fehle Betroffenen von Hasskriminalität in der Regel die Möglichkeit, sich effektiv gegen Verbrechen zur Wehr zu setzen. So habe etwa die Israelitische Kultusgemeinde bei aktuellen Fällen von Hassverbrechen im Internet keine Parteienstellung. Anwältin Julia Andras skizzierte anhand mehrerer Verfahren die aktuellen Problemstellungen in der juristischen Bekämpfung von Hasskriminalität. Eindeutig unter die relevanten Straftatbestände fallende Handlungen würden von der Staatsanwaltschaft Wien nicht weiter verfolgt und eingestellt, dies mit dem Argument, „der Täter sei nicht ausforschbar“. „Es werden Fotos und Videos von Hitlergrüßen bei FPÖ-Wahlkampfveranstaltungen festgehalten und veröffentlicht. Aber durch die fehlende Parteienstellung hat man keinen Einfluss auf das weitere Verfahren“, beklagt die Anwältin den Status quo. Wo Strafverfahren nicht greifen, kann ein Geschädigter mit Zivilverfahren sehr rasch die eigenen Rechte sichern und Hasspostings „abdrehen“, ergänzte Medienanwalt Gerald Ganzger. „Die Durchsetzung erfolgt mit dem exekutionsrechtlichen Instrument der Beugestrafe, die täglich bis zu 100.000 Euro betragen kann. Das trifft auch große Unternehmen hart. Freilich muss bei der Bekämpfung von Hassrede auf das Recht der freien Meinungsäußerung geschützt werden. Es muss daher im Einzelfall eine genaue Interessensabwägung zwischen beiden Grundrechten erfolgen“, so Gerald Ganzger.

Hochkarätiges Podium bei der Auftaktveranstaltung

Mitwirkende der Konferenz „Antisemitismus und Hasskriminalität im digitalen Zeitalter“ in der Österreichischen Kontrollbank waren: Mag. Muna Duzdar, Staatssekretärin für Diversität, Öffentlichen Dienst und Digitalisierung, Sektionsschef Mag. Michael Schwanda, Leiter der Präsidialsektion d. Bundesministeriums für Justiz; Mag. Peter Gridling, Direktor des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung; Dr. Gerald Ganzger, Rechtsanwalt und Managing Partner LANSKY, GANZGER + partner; Dr. Ariel Muzicant, Ehrenpräsident Israelitische Kultusgemeinde Wien (IKG), Vizepräsident Europäisch-Jüdischer Kongress (EJC); Oskar Deutsch, Präsident Israelitische Kultusgemeinde Wien (IKG); Irit Kohn, Rechtsanwältin und Präsidentin International Association of Jewish Lawyers and Jurists (IAJLJ); Ronit Gidron-Zemach, Rechtsanwältin und CEO International Association of Jewish Lawyers and Jurists (IAJLJ); Dr. Doron Rabinovici, Schriftsteller und Historiker; Mag. (FH) Ingrid Brodnig, Journalistin und Autor „Hass im Netz“; Mag. Kevin Barrett, Rechtsanwaltsanwärter LANSKY, GANZGER + partner; Dr. Julia Andras, Rechtsanwältin und Leiterin des Jewish Desk LANSKY, GANZGER + partner; Yogev Karsenty, Direktor Forum gegen Antisemitismus im Diaspora-Ministerium des Staates Israel.

Über die Internationale Vereinigung jüdischer Anwälte und Juristen (IAJLJ) 

Die Internationale Vereinigung jüdischer Anwälte und Juristen (International Association of Jewish Lawyers and Jurists, „IAJLJ“) wurde im Jahr 1969 gegründet und steht aktuell unter der Leitung von Anwältin Irit Kohn, vormals Leiterin der Abteilung für internationale Angelegenheiten des Ministeriums für Justiz Israels. Die NGO widmet sich dem Schutz jüdischer Interessen: Sie setzt sich für den Schutz der Menschenrechte, die Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus ein und tritt der Leugnung des Holocausts, ungerechtfertigten Angriffen auf den Staat Israel und Verletzungen des Völkerrechts entgegen. Im Fokus steht die juristische Perspektive auf die Interessen von Juden und Israelis. Die Internationale Vereinigung jüdischer Anwälte und Juristen (IAJLJ) ist eine NGO mit beratendem Status (Kategorie II) im Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen. Sie ist in über 30 Ländern Europas, Nord- und Südamerikas, Australiens und in Israel aktiv. Sie entsendet regelmäßig Vertreter zum UN-Menschenrechtsrat in Genf, zu den UN-Sitzungen in New York oder auch zu den EU-Institutionen. Die nächste größere Veranstaltung der IAJLJ ist die für den 29. Nove    mber 2017 in Jerusalem geplante Konferenz „50 Jahre geeintes Jerusalem – rechtliche, geostrategische und internationale Aspekte“.

Über Lansky, Ganzger + partner

Mit rund 140 Mitarbeitern an fünf Standorten in Wien, Bratislava, Belgrad, Baku und Astana zählt Lansky, Ganzger + partner (LGP) zu den größten Rechtsanwaltskanzleien Österreichs. Mitglieder der Sozietät engagieren sich seit den 1970er Jahren für ein integratives Miteinander Angehöriger verschiedener ethnischer und gesellschaftlicher Gruppen. Die Kanzleigründer Gabriel Lansky und Gerald Ganzger haben in den mehr als drei Jahrzehnten ihrer anwaltlichen Tätigkeit von Verfolgung bedrohte Menschen mit der gleichen Selbstverständlichkeit betreut wie namhafte Mandanten aus Politik und Wirtschaft. Zahlreiche erfolgreich geführte Verfahren vor dem EGMR runden das Profil ab. Seit 1973 ist Gabriel Lansky aktives Mitglied von Amnesty International.

Rückfragen & Kontakt:

RA Dr. Julia Andras
Lansky, Ganzger & Partner Rechtsanwälte GmbH
T: +43 1 533 33 30
E: andras@lansky.at

Mag. Dr. Manuela Miklas
Lansky, Ganzger & Partner Rechtsanwälte GmbH
T: +43 1 533 33 30
E: miklas@lansky.at



Quelle

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