Jetzt Impfungen nachholen: „Es gibt viel zu tun“

Nach dem Wiederhochfahren der Arztpraxen muss der vorsorgemedizinische Nachholbedarf schnell ausgeglichen werden, sagt Johannes Steinhart, Vizepräsident der ÖÄK.

Wien (OTS) „Wir verzeichnen derzeit einen problematischen Rückstau in der Vorsorgemedizin, der auch eine größer werdende Impflücke einschließt“, bringt Johannes Steinhart, Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte und Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer, bei einem Pressegespräch die Situation auf den Punkt. Im Zusammenhang mit dem „Shutdown“, den die Bundesregierung ausgerufen hat, wurden Ärzte damals einerseits aufgefordert, ihre Praxen geöffnet zu halten, um für Patienten notfalls zur Verfügung zu stehen. Andererseits sollten möglichst nur Akutpatienten Arztpraxen aufsuchen, um das Risiko einer Infektionsübertragung zu minimieren. „So wurden viele Vorsorgemaßnahmen, darunter auch Impfungen, verschoben. Die Impflücke, die schon aufgrund der verbreiteten Impfskepsis ohnehin größer ist, als es der Gesundheit zuträglich ist, vergrößerte sich weiter“, so Steinhart. Durch große Verunsicherung der Bevölkerung sei es bei der Impfaktivität zu drastischen Einbrüchen um bis zu 90 Prozent gekommen, sagt Rudolf Schmitzberger, Leiter des ÖÄK-Impfreferates: „Es gibt also viel zu tun. Es gilt, durch Impfungen Vermeidbares zu vermeiden. Wer Vorsorge betreibt, etwa durch eine Influenza-Impfung, der entlastet auch die Spitäler“, so Schmitzberger.

Nach dem Wiederhochfahren der Arztpraxen müsse der vorsorgemedizinische Nachholbedarf möglichst schnell ausgeglichen werden, sagt Steinhart. „Es ist ein günstiger Zeitpunkt, um überfällige Impfungen nachzuholen“, so der ÖÄK-Vizepräsident.

Vermehrte Sensibilität für Impfen nutzen

„Sars-CoV-2 hat es auch mit sich gebracht, dass dem Thema Impfen jetzt verstärkte und überfällige Aufmerksamkeit zuteilwird“, sagt Ursula Wiedermann-Schmidt, Leiterin des Instituts für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin und Vorstand des Zentrums für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie der MedUni Wien. Im Mittelpunkt des Interesses stehen dabei nicht nur die Entwicklung eines Impfstoffes gegen Sars-CoV-2, sondern auch Impflücken. Lücken bei der Influenza-Impfung seien etwa bedeutsam, weil ein mögliches Zusammenfallen einer Grippewelle mit einer Covid-19 Welle die österreichische Spitals- und Intensivbetten-Infrastruktur überfordern kann.

Auch Wiedermann-Schmidt sieht jetzt einen günstigen Zeitpunkt, um Impfungen nachzuholen. „Arztpraxen können beim Einhalten entsprechender Sicherheitsvorkehrungen ohne erhöhtes Risiko aufgesucht werden. Die vermehrte Sensibilität für das Thema Impfen sollte aber auch auf breiter Basis konsequent genützt werden. Es gilt, die Bürger und Institutionen ins Boot zu holen“, fordert Wiedermann-Schmidt.

Es sei positiv, dass der Impfung gegen die „echte Grippe“ wieder mehr Aufmerksamkeit gewidmet werde. „Man kann nicht oft genug darauf hinweisen, dass die Influenza eine gefährliche und oft tödlich verlaufende Krankheit ist, gegen die, im Unterschied zu Sars-CoV-2, ein Impfschutz möglich ist“, so Wiedermann-Schmidt. Bekanntlich liegt die Durchimpfungsrate für Influenza in Österreich unter 10 Prozent. „Von den von der WHO geforderten 75 Prozent in der Bevölkerung, besonders in allen Risikogruppen, sind wir weit entfernt. Es ist zu begrüßen, dass die Politik hier aktiv wurde und die Bundesregierung Influenza in das Gratis-Kinder-Impfprogramm aufnimmt, sagt Wiedermann-Schmidt, die zusätzlich wirksame, staatlich finanzierte Aufklärungs-, Informations- und Impfprogramme fordert. Auch die Ärztevertretung und die Vertretungen anderer Gesundheitsberufe seien hier gefordert: „Es besteht Impfnotwendigkeit für das gesamte Gesundheitspersonal. Dass bei Spitalsärzten oder Pflegepersonen die Influenza-Durchimpfungsrate nicht über jener der Durchschnittsbevölkerung liegt, ist alarmierend“, so Wiedermann-Schmidt.

Generell gehöre das Thema Impfung und Impfkommunikation stärker in das Medizinstudium und die ärztliche Ausbildung integriert. „Impfen ist viel mehr als das Applizieren eines Impfstoffs, es ist ein komplexes Geschehen“, sagt Wiedermann-Schmidt: „Es geht dabei um Risikoabschätzung, das Kennen und Berücksichtigen der individuellen Krankengeschichte und Therapien, das Auswählen des individuell geeigneten Impfstoffs, das richtige Reagieren bei unerwünschten Impfreaktionen, die Meldepflicht und Haftung bei Impfnebenwirkungen und vieles mehr. Das müssen gut ausgebildete Ärztinnen und Ärzte machen.“

Zum Thema Impfpflicht ist Wiedermann-Schmidt der Überzeugung, dass zuerst einmal eine Reihe von Optimierungen umgesetzt werden sollten. In erster Linie sollte der Zugang zu Impfstoffen und Impfungen für Patienten erleichtert werden – etwa durch den Ausbau des Impfens am Arbeitsplatz durch Betriebsärzte und Arbeitsmediziner. „Auch, dass Kinderärzte Eltern oder Großeltern nicht impfen dürfen, wenn diese ihre Kinder oder Enkelkinder in die Arztpraxis begleiten, bedeutet eine unnötige Verkomplizierung“, so Wiedermann-Schmidt.

„Impfen und Vorsorgeuntersuchungen sind wichtiger denn je“, so Schmitzberger: „Es ist großartig, dass rund 90 Prozent der Arztpraxen auch während des Shutdown geöffnet hatten – trotz hoher Belastungen und potentieller gesundheitlicher Gefährdung, aber auch trotz einer finanziellen Belastung durch hohe Vorhaltekosten und Umsatzeinbußen. Jetzt ist es wichtig, vom gelebten Modus des Krisenmanagements und Trouble Shootings in den Ordinationen wieder in einen geordneten Normbetrieb überzuleiten.“

„Wir niedergelassene Ärztinnen und Ärzte sind auch bemüht, sinnlose Doppelbesuche – also zuerst Rezeptausstellung für den Impfstoff, dann Abholung in der Apotheke, dann erst Impftermin – zu vermeiden“, sagt der Leiter des ÖÄK-Impfreferates – etwa durch das elektronische Rezept. „Die meisten Impfärzte haben übrigens die gängigen Impfstoffe vorrätig: also One stop only.“ Bei den neuen Plänen zum e-Impfpass, der ab Herbst starten soll, sei es absolut entscheidend, dass die Ärzteschaft von Beginn an eingebunden wird. „Nur so kann dieses Projekt funktionieren“, so Schmitzberger.

„Auch bei der FSME-Impfung, bei der wir in Österreich sehr erfolgsverwöhnt sind, dürfen wir uns nicht darauf verlassen, dass sie ein Selbstläufer ist: Zecken haben keine Angst vor COVID-19.“ Gleiches wie für Impfungen gelte auch für die Mutter-Kind-Pass Untersuchungen.

„Impfen ist ärztliche Tätigkeit – und das soll auch so bleiben“

Für ÖÄK-Vizepräsident Steinhart ergibt sich aus Sicht der Ärztevertretung eine Reihe von Schlussfolgerungen: „Zunächst einmal sollten alle zur freien Berufsausübung berechtigten Ärztinnen und Ärzte impfen dürfen, ohne jede Fachbeschränkung. Die jetzige Aufhebung der Fachbeschränkung, dass Kinderärzte keine Erwachsenen impfen dürfen, ist nur vorübergehend durch eine Pandemieverordnung aufgehoben“, erinnert Steinhart. „Und wir fordern, dass Patienten in Arztpraxen uneingeschränkt Impfstoffe beziehen können, weil das den Zugang zu Impfstoffen und Impfungen erheblich vereinfacht.“

Die von der Bundesregierung in Aussicht gestellte Aufnahme der Influenza-Impfung in das Gratisimpfkonzept müsse unbedingt umgesetzt werden. „Hier warten wir noch auf die Bestätigung und die Details. Kinder sind bei der Influenza massive Infektionsverbreiter. Sie systematisch gegen Influenza zu immunisieren, ist aus vorsorgemedizinischer Sicht besonders wichtig“, so Steinhart.

Die Zeit dränge allerdings, weil die Bestellkontingente bei Influenza-Impfstoffen vermutlich bereits ausgeschöpft seien. „Die Länderzuteilung der Hersteller erfolgt nach dem letztjährigen Verbrauch, und Österreich liegt hier nicht in der Top Liga. Nach unseren Informationen wird die von Österreich bisher bestellte Impfstoff-Menge für die bevorstehende Influenza-Saison weit hinter dem Bedarf zurückbleiben. Hier erwarten wir vom Gesundheitsministerium maximalen Einsatz“, so Steinhart.

„Impfen ist ärztliche Tätigkeit, und soll das auch bleiben“, sagt Steinhart: „Apotheker sind absolute Fachleute. Aber eben nur auf ihrem Gebiet.“ Im Impfplan sei klar festgehalten, was zur Impfleistung gehört. Apothekern fehle jede klinische Ausbildung und die Ausbildung, um die Impftauglichkeit fundiert festzustellen. Sie seien nicht geschult, akute Impfreaktionen zu behandeln. Die im Impfplan ebenfalls vorgeschriebene Impfaufklärung und Nachbeobachtung stellten für die Apotheken weitere Herausforderungen dar. „Impfen ist aus gutem Grund eine rein ärztliche Tätigkeit“, so Steinhart.

Um den Zugang zu Impfungen zu erleichtern, sollten vermehrt Impfungen am Arbeitsplatz durchgeführt werden, zudem fordere man staatlich finanzierte Aufklärungs- und Impfprogramme. „Sehr gerne wird die Ärztekammer im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch weiterhin alles tun, um die Bürger von der Sinnhaftigkeit von Schutzimpfungen zu überzeugen. Aber dafür brauchen wir auch eine deutliche und konsequente Unterstützung durch die Politik“, so Steinhart abschließend.

Rückfragen & Kontakt:

Österreichische Ärztekammer
Mag. Sascha Bunda
Öffentlichkeitsarbeit
+ 43 1 514 06-3341
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