Größte Reform der Zweiten Republik oder großartiger Marketing-Gag?

Erste parlamentarische Debatte über Sozialversicherungsreform im Gesundheitsausschuss

Wien (PK) - Zu einem ersten harten Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition in Sachen Umbau der Sozialversicherung kam es heute im Gesundheitsausschuss des Nationalrats. Bei der als zweiter Punkt auf der Agenda stehenden Aktuellen Aussprache ging es fast ausschließlich um den der ÖVP und FPÖ am vorigen Freitag präsentierten Gesetzesentwurf, der u.a. eine Reduktion der Sozialversicherungsträger von 21 auf 5, die Schaffung einer Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), die Umwandlung des Hauptverbands in einen "schlanken Dachverband" und mehr Aufsichtsrechte für das Ministerium vorsieht.

Ziel des Sozialversicherungs-Organisationsgesetzes (SV-OG) sei es, alle möglichen Rationalisierungspotentiale auszuschöpfen, um eine nachhaltige Absicherung der Finanzierung des Gesundheitssystems zu gewährleisten, unterstrich Ministerin Beate Hartinger-Klein. Ausgehend von 10% Einsparungen bei Personal- und Sachaufwand im Verwaltungsbereich der Sozialversicherung ab 2023 könnten ohne Veränderung des Leistungsniveaus in einem Zeitraum von vier Jahren insgesamt 350 Mio. € erzielt werden. Laut der Studie der London School of Economics seien sogar bis zu 1,2 Mrd. € möglich. Hartinger-Klein appellierte an die Opposition, die Menschen nicht mit unrichtigen Behauptungen zu verunsichern. Sie garantiere, dass keine Selbstbehalte eingeführt und keine Beiträge erhöht werden. Auch an den Eckpfeilern der Pflichtversicherung und der Selbstverwaltung werde nicht gerüttelt.

Massive Kritik an den Plänen der Regierung übte SPÖ-Abgeordnete Pamela Rendi-Wagner, die u.a. die Machtverschiebung in Richtung ArbeitgeberInnen bei den Gebietskrankenkassen anprangerte. Sowohl sie als auch NEOS-Vertreter Gerald Loacker bezweifeln, dass die Versicherten von den vorgeschlagenen Maßnahmen in Form der propagierten "Patientenmilliarde" profitieren werden; dies sei eine Mogelpackung. Daniela Holzinger-Vogtenhuber (PILZ) zeigte auf, dass die Einsparungen erst ab 2023 greifen werden.

Zuvor stand noch der Lebensmittelsicherheitsbericht 2017 ( III-164 d.B.) auf der Tagesordnung, der einstimmig zur Kenntnis genommen wurde. Trotz einer grundsätzlich positiven Bilanz - die Zahl der als gesundheitsschädlich eingestuften Proben konnte von 0,5% auf 0,4% gesenkt werden sahen einige oppositionelle Abgeordnete noch Handlungsbedarf.

Opposition beklagt Aushöhlung der Selbstverwaltung und Machtverschiebung hin zur Wirtschaft

Im Gegensatz zu den Vorgängerregierungen habe die ÖVP-FPÖ-Koalition den Mut, die "größte Reform der Zweiten Republik" im Bereich der Sozialversicherung in die Wege zu leiten, erklärte Bundesministerin Beate Hartinger-Klein. Im Sinne des Grundsatzes "gleiche Beiträge für gleiche Leistungen" werden u.a. die neun Gebietskrankenkassen zur einer Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) zusammengeführt. Außerdem komme es zu einer Fusion der Sozialversicherungsanstalten der gewerblichen Wirtschaft und der Bauern sowie der Beamten und der Eisenbahner. In Summe gebe es künftig fünf statt 21 Träger, hob die Ressortchefin hervor. Als weitere Ziele führte sie eine Aufgabenbündelung, schnellere Entscheidungsstrukturen, ein einheitliches Beschaffungswesen sowie eine bessere Koordinierung der Maßnahmen an.

Die Sozialdemokraten hätten sich immer für eine zeitgemäße Weiterentwicklung des Sozialversicherungssystems ausgesprochen, konstatierte Abgeordnete Pamela Rendi-Wagner (SPÖ). Man habe daher auch eine Grundlagenstudie bei der London School of Economics in Auftrag gegeben, um eine fundierte Basis für einen solchen Modernisierungsprozess zur Verfügung zu haben. Die Ergebnisse zeigten, dass es vor allem zwei große Herausforderungen gibt, nämlich die Fragmentierung des Systems sowie die ungleichen Versicherungsleistungen. Bedauerlicherweise würden die Pläne der Regierung diesen Ergebnissen in keiner Weise Rechnung tragen. Das System werde stattdessen komplexer und weniger effizient, befürchtete sie, außerdem kenne niemand die Höhe der Fusionskosten. Man schaffe drei Klassen von Krankenkassen, wobei jedoch die Versicherungsanstalten der Selbstständigen und Bauern sowie der Beamten und Eisenbahner nicht angetastet werden, kritisierte Rendi-Wagner. Die versprochene "Patientenmilliarde" sei ihrer Meinung nach eine Mogelpackung, die jeder Grundlage entbehre. Stattdessen komme es zu einem Aderlass in Richtung Wirtschaft, was dazu führen wird, dass schon im Jahr 2019 85 Mio. € in der ÖGK fehlen werden.

Abgeordnete Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) ist der Auffassung, dass der Entwurf verfassungswidrige Elemente enthalte; die SPÖ werde das nicht hinnehmen. Verena Nussbaum (SPÖ) machte darauf aufmerksam, dass für private Sanatorien zusätzlich 14,7 Mio. € ausgeschüttet werden sollen.

Gerald Loacker (NEOS) ortete eine Machtverschiebung hin zu den ÖVP-Funktionären in den Kassen. Die bisher "schwarzen" Träger bleiben fest in ÖVP-Hand, die Beamten dürften noch die "roten" Eisenbahner "schnupfen". Außerdem sei nur dort, wo die "Roten" etwas mitentscheiden können, ein Rotationsprinzip vorgesehen. Das "Geilste" sei jedoch seiner Meinung nach der Fit-und-Proper-Test für die FunktionärInnen, der aber nur für jene gelte, die von der Arbeiterkammer entsandt werden. Während z.B. ein Betreiber eines Würstelstands seine Eignung nicht nachweisen müsse, sei dies für einen Bilanzbuchhalter verpflichtend.

Daniela Holzinger-Vogtenhuber (PILZ) beklagte, dass es keine Information darüber gibt, wie hoch die Kosten der Fusion sein werden. Außerdem greifen die Einsparungen laut Entwurf erst ab dem Jahr 2023 und summieren sich dann bis 2026 auf etwa 350 Mio. €. Kritik übte sie auch daran, dass Senioren- und BehindertenvertreterInnen keine Stimmrechte in der Hauptversammlung haben werden. Generell bemängelte die Abgeordnete die Aushöhlung des Selbstverwaltungsprinzips.

Seit 30 Jahren werde darüber debattiert, wie man das Sozialversicherungssystem reformieren könne, erinnerte ÖVP-Abgeordnete Gabriela Schwarz. Sie sei daher froh, dass die Regierung nun wichtige Maßnahmen im Sinne der Versicherten ergreift. Abgeordneter Johann Höfinger (ÖVP) erkundigte sich danach, wie es mit den Gesundheitsreformprojekten weitergeht. Seine Fraktionskollegin Martina Diesner-Wais sprach vor allem die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum an.

Die Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger sei ein ganz wichtiger Schritt, weitere werden noch folgen, kündigte Abgeordneter Gerhard Kaniak (FPÖ) an. Es sei klar, dass Fusionen Kosten verursachen, aber diese würden sich sicher bald amortisieren. Was die AUVA angeht, so sei es richtig, für mehr Transparenz bei den Finanzströmen zu sorgen.

Hartinger-Klein sieht zahlreiche Rationalisierungspotentiale

In Bezug auf die Kritik von Rendi-Wagner warf die Ministerin der SPÖ vor, dass sie es in den letzten Jahren zugelassen habe, dass die PatientInnen in den ambulanten Bereich und hin zu den WahlärztInnen verschoben wurden. Der Regierung sei es ein wichtiges Anliegen, die Rolle des Hausarztes zu stärken und Anreize zu schaffen, damit mehr MedizinerInnen in die ländlichen Regionen gehen. Auch am Instrument der Zielsteuerung-Gesundheit, also der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Sozialversicherung, soll weiter festgehalten werden. Nicht abgeschafft werde die Regionalisierung, betonte die Ministerin, das Gegenteil sei der Fall. Es soll etwa ein medizinischer Leistungskatalog ausgearbeitet werden, der auf die Bedürfnisse vor Ort eingeht. Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger werde durch einen schlanken Dachverband ersetzt, der ausschließlich gemeinsame Interessen der Versicherungsträger wahrnimmt und übergreifende Aufgaben koordiniert.

Was die Eignungstests für Kassenfunktionäre angeht, so sollten diese grundsätzlich für alle gelten, meinte die Ministerin. Detaillierte Vorgaben könne sie per Verordnung festlegen. Hartinger-Klein verteidigte die zusätzlichen Mittel für die Privatspitäler: Eine Studie von Professor Haber kam zu dem Ergebnis, dass eine Anpassung der Entgelte notwendig sei. Weiters ging die Ministerin auf den Ausbau der Tele-Rehab sowie den Innovationsfonds ein, der mit 100 Mio. e dotiert ist.

Lebensmittelsicherheitsbericht 2017: Anteil der gesundheitsschädlichen Proben weiter gesunken

Im Jahr 2017 wurden 47.625 Betriebskontrollen durchgeführt und 28.026 Proben begutachtet, informierte Ministerin Beate Hartinger-Klein anlässlich der Debatte über den Lebensmittelsicherheitsbericht 2017. Insgesamt lag die Beanstandungsquote bei 17,5%. Als häufigste Beanstandungsgründe wurden erneut Kennzeichnungsmängel und zur Irreführung geeignete Informationen angeführt. Es zeige sich, dass der risikobasierte Ansatz bei der Planung und Durchführung der amtlichen Lebensmittelkontrolle geeignet sei, Schwachstellen aufzudecken und die Sicherheit bestmöglich zu garantieren.

FPÖ-Mandatar Gerhard Kaniak zeigte sich erfreut darüber, dass die Beanstandungsquote bei den als gesundheitsschädlich eingestuften Proben von 0,5% auf 0,4% gesenkt werden konnte; bei Planproben betrug sie lediglich 0,2%. Aufgrund der hohen Anzahl an Kennzeichnungsmängel sei es sinnvoll, auf das Prinzip Informieren statt Strafen zu setzen. Er regte zudem an, im nächsten Jahr einen Schwerpunkt auf die Untersuchung von Spielzeug zu legen. Auch Abgeordnete Martina Diesner-Wais (ÖVP) hob die guten Ergebnisse hervor. Sie würden beweisen, dass es in Österreich ein hohes Niveau an Lebensmittelsicherheit gebe.

Abgeordnete Daniela Holzinger-Vogtenhuber (PILZ) drängte auf eine rasche Verbesserung bei der Kennzeichnung von verarbeiteten Lebensmitteln. Derzeit könnten die KonsumentInnen nicht erkennen, ob etwa Eier aus Käfighaltungen in den Speisen enthalten sind. Auch Abgeordneter Markus Vogl (SPÖ) sprach dieses Problem an und gab zu bedenken, dass eine Lösung derzeit am Widerstand der Wirtschaftskammer scheitere. Schon jetzt könnte nämlich jeder Importeur von Eiern nachvollziehen, welche Haltungsform bei der Produktion zur Anwendung gekommen ist. Handlungsbedarf sah er auch bei den Themen Trinkwasser und Nanomaterialien. 10% der Trinkwasserproben auf Berghütten wurden beanstandet, führte er etwa ins Treffen. SPÖ-Mandatar Philip Kucher forderte endlich konkrete Taten in Bezug auf das Thema Glyphosat. Abgeordneter Gerald Loacker (NEOS) machte darauf aufmerksam, dass es bei Kindernährmitteln eine hohe Beanstandungsquote gab.

Die Sicherheit der Lebensmittel in Österreich habe für sie oberste Priorität, betonte Beate Hartinger-Klein, die zudem eine Weiterentwicklung der heimischen Standards sowie eine Verbesserung der Kennzeichnung wie z.B. bei vegetarischen und veganen Produkten anstrebt. In Arbeitsgruppen sollen entsprechende Lösungsvorschläge erarbeitet werden. Was die EU-Ebene betrifft, so werde sie den österreichischen Ratsvorsitz zum Anlass nehmen, um eine Road-map in Sachen Ernährungssicherheit zu initiieren. - Bei der Abstimmung wurde der Bericht einstimmig zur Kenntnis genommen. (Fortsetzung Gesundheitsausschuss) sue

Rückfragen & Kontakt:

Pressedienst der Parlamentsdirektion
Parlamentskorrespondenz
Tel. +43 1 40110/2272
pressedienst@parlament.gv.at
http://www.parlament.gv.at
www.facebook.com/OeParl
www.twitter.com/oeparl



Quelle

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER
INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS. www.ots.at

(C) Copyright APA-OTS Originaltext-Service GmbH und der jeweilige Aussender.

Eigenes Pressefach für Ihre Pressemeldungen - Pressefach.eu

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen