Dringliche im Nationalrat zur Causa Ischgl: NEOS ziehen Bundesregierung in Verantwortung für europaweite Verbreitung des Coronavirus

Gesundheitsminister Anschober räumt Fehler ein

Wien (PK) Die kontroverse Debatte über das „Corona-Chaos“ in Ischgl im März 2020 fand heute im Nationalratsplenum ihre Fortsetzung. In einer Dringlichen Anfrage an Gesundheitsminister Rudolf Anschober griffen die NEOS die Ergebnisse der unabhängigen Expertenkommission zum „Management der COVID-19-Pandemie Tirol“ auf und wollten das System für den „pandemiegeplagten Herbst und Winter“ vorbereitet wissen. Die NEOS sehen Gesundheitsminister Rudolf Anschober und Bundeskanzler Sebastian Kurz in Verantwortung für die europaweite Ausbreitung des COVID-19-Virus aus Ischgl.

Die Kritik der Kommission konnte Anschober insbesondere das Land Tirol betreffend nachvollziehen. Die Empfehlungen will er gemeinsam mit dem Land Tirol zeitnah, rasch und konsequent umsetzen, wie er sagte. Im Gegensatz zu den NEOS sei die österreichische Bevölkerung mit dem Vorgehen der Bundesregierung zufrieden, meinte Anschober in seiner fast eine Stunde dauernden Anfragebeantwortung. Das vorrangige Ziel sei nun, einen zweiten Lockdown zu verhindern. Zentrale Rolle spiele dabei die Geschwindigkeit beim Contact-Tracing.

NEOS: Mangelnde Vorbereitung führte zu unkontrollierten Abreisen

Die Expertenkommission kam in ihrem am 13.10.2020 veröffentlichten Bericht zu dem Schluss, dass im März dieses Jahres im Ort Ischgl Panikstimmung – ausgelöst durch die Pressekonferenz des Bundeskanzlers – herrschte. Für Gerald Loacker, Antragsteller der Anfrage, zeichnet der Bericht ein erschreckendes Bild im Umgang mit der Pandemie auf Seiten der Regierungsspitze. Loacker kritisierte veraltete Rechtsgrundlagen, fehlende Pandemiepläne, mangelnde Abstimmung zwischen den verschiedenen Ebenen der Verwaltung und nicht zuletzt das Agieren des Bundeskanzlers. Der damit einhergehende Schaden für den Tourismusstandort Österreich sei nachhaltig, unterstrich der NEOS-Abgeordnete. Besondere Kritik übte er an der mangelnden Vorbereitung der Quarantäne und der dadurch bewirkten unkontrollierten Abreise, die eine sinnvolle epidemiologische Kontrolle behindert habe. Mit seiner Dringlichen Anfrage wollte Loacker zudem der Zusammenarbeit innerhalb der Bundesregierung sowie mit der Regierung und dem Vollzug auf Landesebene auf den Zahn fühlen.

Für Loacker besteht auch heute, sieben Monate nach Ausbruch der Krise, der Eindruck, dass die Bundesregierung unvorbereitet agiere. Maßnahmen würden überhastet beschlossen und verkündet – ohne notwendige Rechtsgrundlage. Normunterworfene würden erst im Nachhinein erfahren, welche Maßnahme tatsächlich Gültigkeit gehabt habe, kritisierte er den „unerträglichen Zustand“.

EU-weit seien 11.000 Infektionen auf Ischgl zurückzuführen, beklagte Loacker und wies auf den enormen Imageschaden für Österreich hin. Fehler habe es auf allen Ebenen gegeben, konstatierte er. Das Gesundheitsministerium als Spitze der Weisungskette hätte aus seiner Sicht früher bzw. anders reagieren müssen. Österreich sei nicht ausreichend auf den Herbst vorbereitet, Pandemiepläne würden weiterhin fehlen, kam Loacker zum Fazit über den aktuellen Stand der Lage.

Anschober räumt Fehler ein und will Empfehlungen der Kommission umsetzen

Fast eine Stunde lang beantwortete Gesundheitsminister Anschober die 45 Fragen umfassende Anfrage der NEOS. Nicht alles, was gemacht wurde, war schlecht, meinte Anschober und wies auf die Ausnahmesituation im März dieses Jahres hin. Vielmehr sei Zeit ein wichtiger Faktor bei der Bekämpfung der Pandemie und Einschätzungen hätten sich laufend geändert. International gesehen sei Österreich bisher vergleichsweise gut durch die Krise gekommen, unterstrich er. Als der weltweite Markt zusammenbrach, sei es seine zentrale Herausforderung gewesen, den Schutz des medizinischen Bereichs sicherzustellen. Nicht alles sei gut gelaufen, räumte Anschober Fehler ein und konnte die Kritik der Expertenkommission insbesondere betreffend das Land Tirol nachvollziehen. Die Empfehlungen der Kommission sollen gemeinsam mit Tirol zeitnah, rasch und konsequent umgesetzt werden, sagte er.

Aus Europa würden derzeit alarmierende Zahlen geliefert, so Anschober. In Österreich gebe es heute 1.346 Neuinfektionen. Innerhalb der letzten 24 Stunden ergaben die Tests eine Positivrate von 7,9%. Das Tempo bei den Tests und dem Contact-Tracing müsse steigen, unterstrich er. Für die Zukunft will Anschober die Corona-Ampel weiter nutzen, Regionalmaßnahmen setzen, die Corona-App forcieren und die Tests ausbauen. Ein genereller Pandemieplan für Österreich werde derzeit finalisiert, unterstrich der Gesundheitsminister. Die Hotline 1450 spiele eine zentrale Rolle in der Bekämpfung der Pandemie, sagte er und wies auf die Ausforschung von möglichen Clusterbildungen hin. In Bezug auf das bevorstehende Weihnachten appellierte Anschober, Alltagsentscheidungen klug zu treffen.

Hoyos-Trauttmansdorff sieht „Ausreden“ und „fehlende Verantwortung“

Unzufrieden mit der Anfragebeantwortung durch Gesundheitsminister Anschober gab sich Abgeordneter Douglas Hoyos-Trauttmansdorff (NEOS). Vorrangig zähle der Bericht der Expertenkomission zu Ischgl, bemängelte Hoyos-Trauttmansdorff die Ausführungnen des Ministers. Während der gesamten Corona-Krise gelte das Motto der Regierung: „Es gibt nicht für alles eine Erklärung, aber eine passende Ausrede.“ Ein Paradebeispiel dafür sei der Tiroler Landesrat Tilg, so Hoyos-Trauttmansdorff. Fehler würden geleugnet, dies sei der Bevölkerung nicht zuzumuten. So habe die Ankündigung der Quarantäne über das Paznauntal und St. Anton durch den Bundeskanzler für „Panikstimmung“ und „totales Chaos“ gesorgt, zitierte der Abgeordnete aus dem Bericht. Ischgl sei „eine Art Freiluftgefängnis“ gewesen. Das dadurch entstandene negative Image für Tirol tue den Tirolern heute sehr weh. Derartige Fehler würden dann passieren, „wenn man vergisst, dass Regieren mehr ist als Pressekonferenzen“, ermahnte Hoyos-Trauttmansdorff, der sich von der Bundesregierung „einen anderen Umgang mit diesen Themen“ wünschte.

Schwarz: „Im Großen und Ganzen hat es gut funktioniert“

Ihre gegensätzliche Wahrnehmung schilderte Abgeordnete Gabriela Schwarz (ÖVP). In der größten Gesundheits- und Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten habe die Bundesregierung vom ersten Moment an Verantwortung übernommen. Es gehe darum, Dinge transparent zu kommunizieren, versicherte Schwarz. Bundesminister Anschober habe deutlich gemacht, wie die Kommunikationskette funktioniert habe. In Tirol habe der Landeshauptmann Wert darauf gelegt, dass ExpertInnen die Geschehnisse evaluieren – davon würden andere Länder profitieren.

Rendi-Wagner vermisst „klare Verantwortung, zentrale Steuerung und Koordinierung“

Mit harter Kritik konterte Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) ihrer Vorrednerin. Der Bericht der Kommission aus Tirol komme zu gänzlich anderen Schlüssen. Anfängliche Warnungen der isländischen Behörden seien heruntergespielt worden, sowohl Regierung als auch das Land Tirol untätig geblieben. Über 11.000 Infizierte seien europaweit auf Tirol zurückzuführen, so Rendi-Wagner, die ergänzte, dass man „zumindest in der Frage, alles richtig gemacht zu haben“, gut abgestimmt gewesen sei. Der Bericht der unabhängigen Kommission zeige ein Bild des „Multiorganversagens“ und „Brechens aller Regeln des Krisenmanagements“. Für die Bevölkerung und das Parlament sei es nun wichtig zu wissen, warum verzögert gehandelt wurde. Im Kampf gegen eine Pandemie könne man nur mit klarer Verantwortung, zentraler Steuerung und Koordinierung erfolgreich sein. Ischgl sei die „Offenbarung der Verantwortungslosigkeit“, so Rendi-Wagner.

Kaniak kritisiert „Ankündigungspolitik ohne rechtliche Basis“

Seinen Unmut äußerte ebenso Abgeordneter Gerhard Kaniak (FPÖ), der im Plenum ausführlich aus dem Bericht der Expertenkommission zitierte. Die Bundesregierung habe „bis heute nur sehr wenig aus diesen Fehlern gelernt“. Eine „Ankündigungspolitik ohne rechtliche Basis sorge für Verunsicherung von BürgerInnen und Behörden, bemängelte Kaniak, das Epidemiegesetz bleibe eine „unvollendete Baustelle“. Kaniak forderte, das Epidemiegesetz „mit klaren Zuständigkeiten und Kompetenzregelungen“ neu aufzusetzen und sprach sich gegen „unverhältnismäßige Einschränkungen der Grund- und Freiheitsrechte“ aus.

Maurer: Bericht zeigt zwingenden Handlungsbedarf auf

Ihren Dank an die unabhängige Expertenkommission drückte Klubobfrau Sigrid Maurer (Grüne) aus, diese habe „Beachtliches geleistet“. Deren Bericht zeige präzise auf, „an welchen Stellen zwingend gehandelt werden muss“, so Maurer, die auf die Umstrukturierung der Landessanitätsdirektion in Tirol verwies. Nach einem holprigen Start müssten die Empfehlungen „in Ruhe und Professionalität umgesetzt werden“. Maurer zeigte sich zuversichtlich, dass „auch in Tirol“ das Fehlerbewusstsein gereift sei. Lob äußerte sie in Richtung des Gesundheitsministers Anschober. Dieser strahle Ruhe aus und gebe den BürgerInnen viel Sicherheit, auch nehme er das Parlament sehr ernst, so Maurer.

Ischgl-Bericht zwischen Oppositionskritik und Fehlerkultur

In der weiteren Diskussion verglich Johannes Margreiter (NEOS) die Situation in Ischgl mit dem Gegenteil einer funktionierenden Situation im Operationssaal – die Kontrolle sei komplett verloren gewesen. Darüber hinaus gelte es, jetzt das Vertrauen in den Tourismus wiederherzustellen, was unter anderem insofern fehle, als dass personelle Konsequenzen in Tirol ausgeschlossen würden. Die von ihm eingebrachte Entschließung, an die Rohrer-Kommission heranzutreten und darauf hinzuwirken, diese zur umfassenden, transparenten und unabhängigen Evaluierung des Managements der COVID-19-Pandemie durch die Bundesbehörden mit der Erstellung eines umfassenden Berichtes zu beauftragen, fand keine Mehrheit und wurde abgelehnt.

Heftige Kritik an der Regierung, vor allem an Bundeskanzler Sebastian Kurz, kam auch seitens der SPÖ. Jörg Leichtfried und Markus Vogl (beide SPÖ) sprachen von einem „Chaos“, das nach der damaligen Pressekonferenz des Bundeskanzlers in Ischgl entstanden sei. Während Leichtfried etwa auf das Legalitätsprinzip verwies, wonach eigentlich der Gesundheitsminister in der Situation zuständig gewesen wäre, sprach auch Selma Yildirim (SPÖ) von „Effekthascherei“ durch besagte Pressekonferenz und einer „dilettantischen“ Krisenkommunikation insgesamt. Es gehe jetzt darum, auch international wieder Vertrauen zurückzugewinnen.

Wenig Transparenz und Neues zeigt sich für Peter Wurm (FPÖ) im Rohrer-Bericht, was er auf eine „Allmacht der ÖVP“ in Tirol zurückführte. Ausbaden müsse das „Ischgl-Dilemma“ die Bevölkerung in Tirol und jene, die vom Tourismus leben. Wolfgang Zanger (FPÖ) plädierte wiederum dafür, Mut statt Angst zu machen, mit dem Virus zu leben und auch eine öffentliche Diskussion über andere Meinungen als die von Seiten der ÖVP und der Grünen zuzulassen.

Umgekehrt sieht etwa Ralph Schallmeiner (Grüne), dass FPÖ und NEOS die Bevölkerung verunsichern würden. Er verwies darauf, dass der Gesundheitsminister auch Fehler einräume – Fehlerkultur sei auch Teil eines Qualitätsbewusstseins. Auch Barbara Neßler (Grüne) hob das nunmehrige Fehlermanagement als wichtigen Teil der politischen Kultur hervor. Agnes Sirkka Prammer (Grüne) räumte ein, eine Änderung des Epidemiegesetzes sei sinnvoll und notwendig. Diese sei allerdings nicht mitten in einer Pandemie vorzunehmen, sondern dann, wenn alle Fakten vorliegen. Das COVID-Maßnahmen-Gesetz sei als Hilfsmittel zu diesem Zeitpunkt die richtige Maßnahme gewesen, so Prammer.

Josef Smolle (ÖVP) bewertete es äußerst positiv, dass in Tirol so zeitnah eine Expertenkommission eingerichtet wurde, um den Beginn der Pandemie entsprechend aufzuarbeiten. Es gelte jetzt, daraus für die Zukunft zu lernen. Hermann Gahr und Franz Hörl (beide ÖVP) nannten in diesem Zusammenhang eine nunmehrige Neustrukturierung des Krisenmanagements in Tirol. Man nehme die Anregungen ernst und wolle Sicherheit bieten, so Gahr. Gerade dieses Fehlerbewusstsein sei wichtig, um für die kommende Wintersaison die Dinge besser zu machen und im Tourismus, wo tausende Existenzen auf dem Spiel stehen, den Gästen Sicherheit zu geben. (Fortsetzung Nationalrat) gla/cke/mbu

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Live-Stream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.

———————————————————————

Rückfragen & Kontakt:

Pressedienst der Parlamentsdirektion
Parlamentskorrespondenz
Tel. +43 1 40110/2272
pressedienst@parlament.gv.at
http://www.parlament.gv.at
www.facebook.com/OeParl
www.twitter.com/oeparl



Quelle

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER
INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS. www.ots.at

(C) Copyright APA-OTS Originaltext-Service GmbH und der jeweilige Aussender.

Eigenes Pressefach für Ihre Pressemeldungen - Pressefach.eu

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen