„dokFilm“-Premiere „König der Narren“: Christian Hagers Doku über Mythos und Geschichte der „Kultfigur Kasperl“

Am 6. November in ORF 2

Wien (OTS) Er trägt ein Dauergrinsen im Gesicht und dreht der Welt die buchstäblich lange Nase. Seit 65 Jahren ist er überdies Star des ORF-Fernsehens: der Kasperl – jener, der aus dem Ensemble der berühmten Wiener Urania-Puppenbühne hervorging, ebenso wie seine zahllosen Artgenossen und Epigonen – gilt als Kultfigur, vor allem der Kinder. Das war bei Weitem nicht immer so: Seine Vorfahren waren Raufbolde, ungehobelt und vulgär. In einer neuen ORF-Koproduktion macht sich Regisseur Christian Hager auf Spurensuche nach den Ahnen des Kasperls: der buntgekleidete Arlecchino der Commedia dell’arte genoss buchstäblich Narrenfreiheit. Je mehr er gen Norden wanderte, desto mehr legte er seine Eleganz ab: Sein alpenländisches Pendant war ein derber Sauschneider, sein Wiener Ableger, der Hanswurst, war ordinär und versoffen – und trotzdem oder vielleicht gerade deswegen so populär. Unter den strengen Zensurvorschriften Josephs II. lernte der Kasperl Manieren. Im 20. Jahrhundert wurde die Kasperlpuppe vielfach propagandistisch vereinnahmt: von Kriegstreibern, Sozialisten und den Nazis.

Zum Mythos Kasperl und der Entwicklung der Figur, die heute noch der Liebling eines ganz jungen Publikums ist, kommen in Hagers Film „Kultfigur Kasperl – König der Narren“ im „dokFilm“ am Sonntag, dem 6. November 2022, um 23.05 Uhr in ORF 2 u. a. André Heller, Puppenspieler und Regisseur Nikolaus Habjan oder der bayerische Starkabarettist Gerhard Polt zu Wort.

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„Kinder, seid ihr alle da?“ „Jaaa!“ tönt es aus vielen Kinderkehlen. Denn den Kasperl „daschlogt kaner“ – zumal, wenn ihn Universalimpresario André Heller rettet. 2018 kaufte Heller die legendäre Puppenbühne in der Wiener Urania, die – 1950 vom Ehepaar Hans und Marianne Kraus gegründet – kurz vor der Schließung stand. Nun sei der Fortbestand der Kultpuppen um Kasperl und Pezi, die zum Staunen verführen und ein Lächeln in Kindergesichter zaubern, gesichert. Heller meint, durch sie können schon kleine Kinder an das Kulturleben herangeführt werden: „Es ist ganz bestimmt so, dass wenn die Kinder nicht ins Kasperltheater oder in ein anderes Puppentheater gehen würden, sie nie eine Brücke zum großen Theater finden würden.“

Doch die Geschichte des Kasperls fing schon sehr viel früher an. Die Wandlung der wortgewandten Renaissance-Figur mit ausgeprägter Narrenfreiheit, des Arlecchino der italienischen Commedia dell’arte, zum Rauf- und Trunkenbold vollzog sich auf dessen Reise nach Norden. Im südbayerischen Raum bzw. im Salzburger Lungau trat er als Sauschneider in Erscheinung, bevor er sich zum Wiener Hanswurst weiterentwickelte. Das bayerische Schliersee ist heute ein Zentrum der Kasperltheater-Kunst. Auf dem jährlich stattfindenden Festival versammeln sich internationale Stars des Genres. Uwe Spillmann etwa führt seine selbstgeschriebenen Stücke unter anderem auf Plattdeutsch auf und knüpft an die Tradition der Jahrmarkt-Gaukler an. Er macht den Wandel des Kasperls von dessen Ventil- zur Vorbild-Funktion nachvollziehbar. Schirmherr des Festivals ist Bayerns Kabarettstar Gerhard Polt, der vor seiner Karriere als Puppenspieler arbeitete. „Er nimmt den Dingen den Ernst. Das heißt: Er ist leichtsinnig, er ist gutmütig und er ist nicht aggressiv. Er wehrt sich nur. Aber die, die ihn angreifen, die rutschen aus“, sagt er zur Figur des Kasperls.

Cancel Culture: das Nicht-Konforme verbannen, das politisch Unkorrekte untersagen. Ein politisches Schlagwort, das manchen sauer aufstößt. Der Grazer Puppenspieler und -designer Nikolaus Habjan zählt zu den renommiertesten seiner Zunft, längst hat er auch die großen Bühnen mit seiner Kunst erobert. Zu seinem Beruf inspiriert hat ihn einst der Kasperl – ihm seinen subversiven Charakter zu nehmen und ihn durch den Mainstream weichzuspülen, hält er für äußerst problematisch: „Wenn der Kasperl in ganz feste, übervorsichtige Pädagogen-Watte gepackt wird, dann wird die Figur wertlos“, sagt er im Interview.

Schon einmal wurden die zotigen Späße des Kasperls – oder vielmehr seines Vorgängers, des Wiener Hanswurst – gecancelt: Seine ausfällige Fäkalsprache wurde im 18. Jahrhundert von Maria Theresia und später von ihrem Sohn, Joseph II., mit Zensur belegt. Vor allem der Schriftsteller und Professor für politische Wissenschaft, Joseph Freiherr von Sonnenfels, führte dagegen einen veritablen Feldzug.

Eine höchst bedenkliche Vorbildfunktion hatte der Kasperl, wann immer er propagandistisch missbraucht wurde. Im Ersten Weltkrieg wurde er – mit grauer Feldmütze ausgestattet – zur Hebung der Truppenmoral an die Front und in Lazarette geschickt. Im roten Wien mutierte er zum Vorzeige-Genossen. Und die Nazis ersetzten das zu verdreschende Krokodil mit der Figur des Juden, die übelst antisemitisch mit einer grotesk verzerrten Grimasse versehen wurde.

„Kultfigur Kasperl – König der Narren“ ist eine Koproduktion von ORF, Bayerischem Rundfunk und epo-Film, hergestellt mit Unterstützung von Fernsehfonds Austria, Filmfonds Wien und VAM.

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