Corona-Ampel: Gesundheitsausschuss hielt Hearing zu umstrittenem Gesetzespaket ab

Experten sehen deutliche Verbesserungen gegenüber Erstentwurf, teils aber auch kritische Punkte

Wien (PK) Da der Verfassungsgerichtshof die im Frühjahr vom Gesundheitsministerium im Zuge der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie verordneten Ausgangsbeschränkungen und Betretungsverbote nachträglich wegen unzureichender gesetzlicher Grundlagen teilweise als verfassungswidrig gewertet hat, müssen das COVID-19-Maßnahmengesetz und das Epidemiegesetz überarbeitet werden. Künftig soll gesetzlich genau determiniert werden, wo die Grenzen für Einschränkungen liegen und welchen Handlungsspielraum der Gesundheitsminister bzw. die zuständigen Behörden bei der Bekämpfung der Pandemie haben. Zudem ist es notwendig, eine rechtliche Grundlage für die Corona-Ampel zu schaffen. Ein erster Gesetzentwurf des Gesundheitsressorts stieß im Begutachtungsverfahren auf erhebliche Kritik, seit knapp einer Woche liegt nun eine abgeänderte Version in Form eines Initiativantrags der Koalitionsparteien vor. Dieser bildete die Grundlage für ein öffentliches Hearing im Gesundheitsausschuss des Nationalrats, zu dem fünf Experten – je einer pro Fraktion – eingeladen worden waren.

Sämtliche Bedenken sehen die Experten zwar noch nicht ausgeräumt, sie orten aber deutliche Verbesserungen gegenüber dem Erstentwurf. So konzedierte Arbeiterkammer-Direktor Christoph Klein, dass im Zuge der Begutachtung „viel eingeebnet wurde“. Auch Michael Mayrhofer, Verwaltungs- und Verfassungsrechtsexperte an der Universität Linz, und Rechtsanwalt Georg Krakow halten die gravierendsten Mängel für beseitigt und den Entwurf nunmehr für weitgehend kompatibel mit der Verfassung. Bei der Verhältnismäßigkeit der Grundrechtseingriffe noch etwas nachschärfen könnte man – trotz deutlicher Fortschritte – nach Meinung von Konrad Lachmayer, Vizedekan der Sigmund-Freud-Privatuniversität. Nach wie vor äußerst kritisch sieht hingegen der Rechtsexperte Michael Geistlinger von der Universität Salzburg den Entwurf: Seiner Einschätzung zufolge macht Österreich damit einen weiteren Schritt Richtung Polizeistaat.

Vom Nationalrat beschlossen werden soll die Sammelnovelle (826/A), die auch eine Änderung des Tuberkulosegesetzes beinhaltet, übermorgen, Mittwoch. Gleichzeitig ist eine Novellierung des ASVG und weiterer Sozialversicherungsgesetze angedacht, mit der Kassenärzte und Ambulatorien für Labormedizin unter anderem berechtigt werden sollen, COVID-19-Tests durchzuführen. Insgesamt sind im Zuge der Begutachtung des Gesetzesvorhabens rund 16.400 Stellungnahmen fristgerecht abgegeben worden, davon rund 6.400 zur vorliegenden Antragsversion. Eingangs der Debatte hob Ausschussvorsitzender Gerhard Kaniak (FPÖ) die Bedeutung des Hearings hervor, es sei wichtig, dass die ParlamentarierInnen ihrer Verantwortung gerecht würden.

Mayrhofer: Entwurf trägt Einwänden des Verfassungsgerichtshofs Rechnung

Es sei nicht so, dass der Entwurf nicht verbesserungsfähig wäre, meinte Michael Mayrhofer, Universitätsprofessor für Öffentliches Recht und Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Johannes Kepler Universität Linz, in seiner Stellungnahme. Grundsätzlich werde den Einwänden des Verfassungsgerichtshofs aber Rechnung getragen und mit den vorliegenden gesetzlichen Bestimmungen ein grundrechtskonformer Vollzug ermöglicht. So sei etwa klargestellt, dass einschränkende Maßnahmen nur getroffen werden dürfen, wenn sie notwendig sind, um die COVID-19-Pandemie einzudämmen. Außerdem sei ein zweiter Lockdown ausschließlich dann erlaubt, wenn ein Zusammenbruch des Gesundheitssystems drohe und andere Maßnahmen nicht greifen. Ein solcher wäre überdies auf zehn Tage begrenzt und müsste verpflichtend Ausnahmen vorsehen.

Was die Kontrolle der Einhaltung von Auflagen durch die Behörden betrifft, bekräftigte Mayrhofer, dass diese mit dem Gesetz nicht zu Hausdurchsuchungen oder ähnlichen Maßnahmen ermächtigt werden. Sie dürften in Betrieben und anderen Orten nur „Umschau“ halten. Ähnliche Regelungen gebe es bereits in der Gewerbeordnung oder im Arbeitsinspektionsgesetz. Verbesserungsbedarf sieht Mayrhofer unter anderem in Bezug auf das Schicksal von Veranstaltungen, hier brauche es klarere Bestimmungen. Auch die Frage, wer für die Einhaltung von Betretungsverboten privater Orte wie Vereinslokale haftbar gemacht werden könne, sei noch unzureichend geregelt.

Generell halte er es für vordringlich, dass im Sinne der Akzeptanz die Regeln für die BürgerInnen klar und verständlich gestaltet werden. Was die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit angeht, so handle es sich dabei letztlich um keine juristische Frage, sondern um eine fachliche, teilte er der Abgeordneten Susanne Fürst (FPÖ) mit. Auch wenn bei den Betretungsregelungen keine expliziten Ausnahmebestimmungen vorgesehen sind, so könne aus seiner Sicht auf dieser Basis keine komplette Ausgangssperre verhängt werden, wie dies Abgeordneter Nikolaus Scherak (NEOS) befürchtet. Bei der Durchführung von Schulscreenings werde es jedoch eine Einwilligung durch die Erziehungsberechtigten brauchen. Zusammenfassend sprach Mayrhofer von einem ersten wichtigen Schritt. Die darauf basierenden Verordnungen müssten jedoch verständlich, nachvollziehbar und sachlich gerechtfertigt sein, appellierte er.

Klein: Mit dem zweiten Entwurf wurde viel „eingeebnet“

Ausdrückliches Lob für die beiden Begutachtungsverfahren kam von Arbeiterkammer-Direktor Christoph Klein. Es habe sich deutlich gezeigt, dass man bemüht sei, Anregungen ernst zu nehmen, sagte er. Ergebnis sei ein deutlich verbesserter Zweitentwurf, „wo viel eingeebnet wurde“. Auch das Prinzip der Corona-Ampel mit regionalen Differenzierungen hält Klein grundsätzlich für richtig und wichtig, schließlich würde die Wirtschafts- und Arbeitswelt einen zweiten generellen Lockdown nur schwer verkraften.

Allerdings hat auch Klein noch einige Verbesserungsvorschläge. So sprach er sich dafür aus, die Bestimmungen, die nicht nur den Gesundheitsminister, sondern auch die Landeshauptleute und Bezirksverwaltungsbehörden zur Erlassung von Verordnungen ermächtigen, zu präzisieren. Es dürfe – unabhängig von der Sinnhaftigkeit regionaler Maßnahmen – nicht möglich sein, dass es in einem Bundesland eine Ampel mit drei Farben und in einem anderen Bundesland eine Ampel mit sieben Farben gebe. Zudem vermisst Klein eine gesetzliche Vorgabe für den jeweiligen Verordnungsgeber, die gesetzten Maßnahmen ausführlich und auch für die breite Öffentlichkeit nachvollziehbar zu begründen, bekräftigte er gegenüber Abgeordnetem Philip Kucher (SPÖ). Nähere Informationen dazu könnten etwa auf der Homepage des Ressorts veröffentlicht werden. Positiv wertet der Experte, dass Privatwohnungen grundsätzlich unangetastet bleiben, man müsse aber auch allzu restriktive Ausgangsregelungen durch überschießende Behörden, die etwa auf ein Besuchsverbot durch die eigenen Kinder hinauslaufen, unterbinden. Im Abänderungsantrag, der ihm aber leider nicht vorliege, soll es dazu aber eine Klarstellung geben. Für ganz wichtig halte er auch die von Abgeordnetem Keck angesprochene Frage, welche Auswirkungen ein möglicher zweiter Lockdown auf BewohnerInnen von Seniorenheimen haben könnte. Ebenso wie Mayrhofer sprach er die Empfehlung aus, das Ampel-System transparent und nachvollziehbar umzusetzen.

Geistlinger sieht Rechtsstaat in Gefahr

Michael Geistlinger, außerordentlicher Universitätsprofessor für Völkerrecht, Rechtsvergleichung auf dem Gebiet des Verfassungs- und Verwaltungsrechts sowie Osteuropäisches Recht an der Universität Salzburg, hat ein grundlegendes Problem mit den COVID-19-Maßnahmengesetz. Schon mit dem im März verabschiedeten Entwurf und den zugehörigen Verordnungen hat sich seiner Meinung nach das Pendel vom Rechtsstaat in Richtung Polizeistaat zu verschieben begonnen. Es wäre durchaus möglich gewesen, das Coronavirus einfach in das Epidemiegesetz aufzunehmen, meinte er, dann wäre auch die Entschädigungspflicht für die der Bevölkerung aufgebürdeten Lasten nicht weggefallen.

Er habe gehofft, dass nun eine andere Vorgangsweise gewählt werde, sagte Geistlinger, der jetzige Entwurf sei kein rechtsstaatlicher Gewinn. Stattdessen würden nämlich weitere Schritte in Richtung autoritärer Staat gesetzt. Der Antrag sei dominiert von der Frage, wo man in Grundrechte eingreifen und wie man Sanktionen treffen und verschärfen könne. Zudem seien viele Verordnungsermächtigungen zu unbestimmt definiert. Ein kritischer Punkt sei etwa die Formulierung „ähnlich gelagerte Notsituationen“ in Bezug auf die Verhängung von Ausgangssperren. Eine massive Verschärfung wäre es auch, die Benutzung eines Privat-Pkw zu verbieten, gab er zu bedenken. Mit den gestern Abend übermittelten Änderungen habe er sich aber noch nicht eingehend befasst, gestand Geistlinger ein, das müsse er sich erst anschauen. Die Regelung der Zuständigkeiten sei jedenfalls nicht zufriedenstellend, zumal der Gesundheitsminister zentralistisch agieren könne. Seine Bitte laute daher, das Gesetz bis Ende des Jahres zu befristen und danach einen soliden, neuen Entwurf vorzulegen.

Krakow: Keine gravierenden verfassungsrechtlichen Bedenken

Der Rechtsanwalt und frühere Oberstaatsanwalt Georg Krakow hat demgegenüber keine gravierenden verfassungsrechtlichen Bedenken mehr, auch wenn er ein gewisses Risiko sieht, dass die Politik die Restriktionen als Vorbild für andere Fälle heranziehen könnte. Die verfassungsrechtliche Beurteilung falle insgesamt aber deutlich besser aus als beim ersten Gesetz, sagte er, dazu hätten die zwei Begutachtungsrunden sicher beigetragen.

Das erste COVID-19-Maßnahmengesetz im März sei unter dem Druck der Ereignisse und in großer Zeitnot beschlossen worden, erinnerte Krakow. Dieses habe auch gehalten. Jetzt, wo es keine Zeitnot mehr gebe, sei aber davon auszugehen, dass der Verfassungsgerichtshof strengere Maßstäbe anwenden werde. Außerdem dürfe es nicht Maßstab für das Gesetz sein, dass es vor dem VfGH gerade noch halte, mahnte Krakow. Vielmehr müsse es sich am Geist des Rechtsstaats orientieren. Nicht alles, was möglich sei, sollte hineingepackt werden.

Wichtig ist für Krakow, dass die Bestimmungen befristet sind. Zudem begrüßte er die vorgesehene „Kaskadenregelung“ bei der Erlassung von Verordnungen, für die nun primär der Gesundheitsminister zuständig ist, sowie die Einbindung des Hauptausschusses des Nationalrats bei schwerwiegenden Eingriffen. Auch dass bei Ausgangsbeschränkungen nun ausdrücklich familiäre Rechte und Pflichten berücksichtigt werden müssen, ist für ihn positiv.

Überlegen sollte man sich Krakow zufolge, ob man nicht auch in Bezug auf Betretungsverbote bestimmte Ausnahmeregelungen direkt in das Gesetz aufnimmt, wie dies bei den Ausgangsbeschränkungen der Fall ist. Überdies bezweifelt er, dass eine Bestimmung, wonach Spaziergänge nur zu Erholungszwecken erlaubt sind, vollzogen werden kann. Auch könnte man die Verordnungsermächtigungen auf den Gesundheitsminister und die Landeshauptleute beschränken – ohne die 93 Bezirkshauptmannschaften und Magistrate.

Lachmayer schlägt Nachschärfungen bei Grundrechtseingriffen vor

Konrad Lachmayer, Vizedekan und Professor für Öffentliches Recht, Europarecht und Grundlagen des Rechts an der Sigmund-Freud-Privatuniversität, wies darauf hin, dass es um eine der bedeutendsten Ermächtigungen zu Grundrechtseingriffen in den letzten Jahrzehnten gehe. Bei der Verhältnismäßigkeit dieser Grundrechtseingriffe wurden ihm zufolge zwar viele Fortschritte erzielt, seiner Meinung nach könnte man bei einigen Punkten aber noch weiter nachschärfen. So bräuchte es absolute Grenzen für von Bezirksverwaltungsbehörden verordnete Ausgangsbeschränkungen. Schließlich seien durch den Entwurf etwa auch Straßensperren gedeckt. Zudem sollte eine Reduktion der Strafen angedacht werden und zwischen den Begriffen Betreten und Verweilen unterschieden werden.

Fragwürdig ist für Lachmayer außerdem, dass für bestimmte Regionen sowohl der Gesundheitsminister als auch der Landeshauptmann als auch die Bezirksverwaltungsbehörde Verordnungen erlassen dürfen. Es brauche klare Zuständigkeitsregeln, da sonst aus rechtstechnischer Sicht sehr komplexe Situationen entstehen. Überdies regte er an, auf der Website des Gesundheitsministeriums alle einschlägigen Verordnungen, also auch jene der Landeshauptleute und Bezirksverwaltungsbehörden, zu sammeln, inklusive der außer Kraft getretenen, um die Transparenz zu erhöhen. Dort könnte man auch über die Zusammensetzung der Corona-Kommission und das Verfahren noch ausführlicher informieren.

Sowohl Lachmayer als auch Krakow sehen es darüber hinaus kritisch, dass es möglich sein soll, die grundsätzlich mit 30. Juni 2021 befristete Geltungsdauer des COVID-19-Maßnahmengesetzes per Verordnung um ein halbes Jahr zu verlängern, wenn dies geboten erscheint. (Fortsetzung Gesundheitsausschuss) gs/sue

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