BR-Symposium zu Digitalisierung und Demokratie: E-Voting umstritten, Partizipation soll forciert werden

Rund 80 TeilnehmerInnen aus Politik und Interessensvertretung, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft

Wien (PK) Beim heutigen Symposium des Bundesrats zu Digitalisierung und Demokratie standen im Anschluss an das Thema „Information und Desinformation“ (siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 1022/2017) Expertenvorträge über E-Voting, E-Government, Transparenz und Partizipation auf dem Programm. Wesentliche Diskussionspunkte bei der darauf folgenden abschließenden Diskussion waren für die rund 80 TeilnehmerInnen aus Politik und Interessensvertretung, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft etwa das E-Voting, aber auch Partizipationsprozesse, das Thema Fake News und Kontrollsysteme sowie Klarnamenpflicht und Bildungsfragen.

Neben Universitäten der unterschiedlichen Fachrichtungen und VertreterInnen aus dem E- und IT-Bereich waren etwa auch Sozialpartner, ehemalige und aktive PolitikerInnen der Landes- und Bundesebene samt BundesrätInnen und Nationalratsabgeordneten vor Ort. Das heutige Symposium baut auf das Grünbuch des Bundesrats und die Online-Konsultation unter www.digidem.at auf und soll in der Länderkammer als Prozess zu einer politischen Strategie Richtung Auftrag an Nationalrat und Regierung führen.

E-Voting: Nutzenabwägung einerseits, Zweifel an Umsetzbarkeit andererseits

Zum Thema Wahlen und Abstimmungen gab Robert Krimmer, Professor für E-Governance an der Technischen Universität Tallinn Einblicke in Internetwahlen in Estland. Erich Neuwirth, Professor der Fakultät für Informatik der Universität Wien, referierte seinen Standpunkt zu „E-Voting: Nutzen und Gefahren“.

In Estland ist das System des E-Voting mittlerweile identitätsstiftend und wird auch international als Art digitales Narrativ betrachtet, sagte Robert Krimmer. Es werden aktuell zum achten Mal seit 2005 Wahlen auch über das Internet durchgeführt, die Beteiligung lag zuletzt bei mittlerweile einem Drittel der abgegebenen Stimmen. Diese Form der Wahl sei im Land auch nicht mehr umstritten, gegen grundsätzliche Skepsis sei der Zugewinn an Mobilität und Komfort erkannt worden. Man habe sich in Estland für eine einfaches Verfahren entschieden, das die Briefwahl abbildet, zudem werde bei jeder Erstellung von Personalausweisen standardmäßig die E-Signatur aktiviert. Ob die Form der Internetwahl auch für andere Länder funktioniert, sei abzuwägen, so der Experte. Auf Rückfragen und Kritik aus dem Publikum ergänzte Krimmer, dass es in Österreich vermutlich wenig Grund gebe, am bestehenden System etwas zu ändern. Den Zug der Zeit müsse man trotzdem erkennen sich auf die Entwicklung der Digitalisierung in 20 bis 30 Jahren einstellen.

Skeptisch bei der Frage nach Belegbarkeit der korrekten Stimmabgabe zeigte sich demgegenüber Erich Neuwirth. Aus seiner Sicht sei es auch schwierig, beim E-Voting etwa die Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs zu erfüllen, theoretische Manipulationsmöglichkeiten auszuschließen. Außerdem seien die Einhaltung der Grundprinzipien der geheimen und anonymen Wahl, ebenso wie der für E-Voting erforderliche technische Wissensstand aller BürgerInnen ad hoc nur schwierig realisierbar. Neuwirth schließt nicht aus, dass Internetwahlen auch in Österreich in Zukunft in Frage kommen. Diese derzeit einzusetzen hält er allerdings für gefährlich und verweist auf die große Herausforderung, dass Wahldaten einerseits verifizierbar sein müssten, andererseits die Anonymität zu garantieren ist. Dem schlossen sich auch Diskussionsteilnehmer wie etwa die Bundesräte Reinhard Todt (S/W) und Stefan Schennach (S/W) an. Es sei gut, dass das Thema vom Tisch sei, so Schennach. Auch, dass der Gang zur Wahlurne an sich ein symbolischer Akt sei und dieser nicht zu einem „voting alone“ vor dem PC werden dürfe, wurde in der Diskussion angesprochen.

Digitalisierung als Chance für mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung

Auf die Möglichkeiten zu Online-Bürgerbeteiligungen ging Andreas Kovar, Geschäftsführender Gesellschafter der Kovar & Partners GmbH, ein. Als wichtigste Vorteile von gesteigerter E-Partizipation erachtet er, dass es zu einem deutlichen Anstieg in der Akzeptanz von Entscheidungen kommt, wenn BürgerInnen mitentscheiden können, kurzfristig auf Entwicklungen reagiert werden könne und die Politik nicht nur mit WissenschaftlerInnen und InteressensvertreterInnen, sondern auch direkt mit Betroffenen in Austausch treten kann. Kovar vermisst, dass Informationen bei politischen Diskussionen derzeit nicht in ausreichendem Maß ausgetauscht werden, was allerdings weniger an den fehlenden Instrumenten liegt, als vielmehr an einem noch nicht gelernten Umgehen mit den digitalen Optionen. Für den Parlamentarismus sieht er von Seiten der Geschäftsordnung keine Behinderung, informelle in formelle Vorgänge zu integrieren. Daher gelte es, Prozedere zu entwickeln, die Digitalisierung, die in der Zivilgesellschaft schon vorangeschritten ist, auch in der Politik zu nutzen. Dadurch könne Österreich im internationalen Vergleich einen Standortvorteil erlangen.

Auch für Ursula Seethaler, Vorstandsvorsitzende von Liquid Participation fehlt es an nachhaltigen Online-Beteiligungsprozessen. Sie unterschied in ihrem Vortrag Top-down- und Bottom-Up-Strategien. Bei den Top-down-Strategien erkennt sie in Österreich bereits Fortschritte, allerdings vermisst sie genaue Definitionen von Zielsetzungen, die verfolgt werden sollen. Bei Bottom-up-Strategien müsse vor allem darauf geachtet werden, dass Tools verwendet werden, die an die jeweiligen E-Partizipationsformate angepasst werden können. Derzeit gebe es eine vielfältige Auswahl an technischen Tools für beispielsweise NGOs oder Gemeinden, wodurch die Experimentierfreudigkeit der jeweiligen Institution ausschlaggebend für die Auswahl der Anwendungen ist. Hier einen klaren Kriterienkatalog festzulegen, würde auch ein wichtiger Impulsgeber für ProgrammentwicklerInnen sein. Die Politik sei daher gefordert, klare Standards dafür aufzustellen, was Gemeinden oder Zivilgesellschaft benötigen, um nachhaltige Online-Beteiligungsprozesse zu schaffen.

Digitalisierung würde neue Möglichkeiten zur Transparenz schaffen, sagte Robert Harm von open3, dem Verein zur Förderung von open Society, openGovernment und openData. Informationstransparenz ist ein wichtiger Faktor, um das Vertrauen in demokratische Prozesse zu stärken. Daten sind ein wichtiges Gut, von dem mehr benötigt würde, schließlich sei Information auch ein öffentliches Gut, unterstrich Harm. Er plädierte daher für Open Government Data, wonach eine proaktive Informationsfreigabe durch den Staat umgesetzt werden soll. Lediglich wenn dadurch Privatsphäre und Sicherheit bedroht werden, dürfe Information zurückgehalten werden. Hierzu wäre ein Informationsfreiheitsgesetz nötig, das Regelungen für Informationen festlegt, wenn diese nicht veröffentlicht werden dürfen.

Für Liquid Democracy trat Moritz Ritter, Geschäftsführer und Vorstandsmitglied von dem Verein Liquid Democracy, ein. Stellungnahmen zu Gesetzen sollten dadurch unabhängig von Zeit und Ort sowie direkt an Textstellen der jeweiligen Gesetze vorgenommen. Bei bestimmten Fachthemen sollten außerdem ExpertInnen anstelle von VolksvertreterInnen als stimmberechtigt herbeigezogen werden können. Die technischen Möglichkeiten hierzu seien bereits gegeben, betonte Ritter. Die „digitale Spaltung“, wonach die Medienkompetenz vom Einkommen und Bildungsgrad abhängen, müsse durch bildungspolitische Maßnahmen aufgehalten werden. Außerdem fehle es Parteien und Parlamenten an Mut, digitale Plattformen nicht mehr nur als reine Distributionsmedien zu verstehen. Nicht zuletzt brauche es verbindliche Verfahren zur digitalen Beteiligung, um eine dynamische Demokratie zu schaffen.

Digitale Gesellschaftsprozesse: Effektivierung und Nutzereinbindung

„App statt Amt?“ fragte Maximilian Schnödl, Chief Operating Officer von Accela und Aufsichtsrat im Bundesrechenzentrum, in seinem Vortrag. Er plädierte für digitale Transformation von Behördenwegen, wodurch eine deutliche Effektivierung dieser Prozesse entstehen würde. Beispiele aus den USA oder Dubai würden zeigen, dass eine solche Transformation von vielen Behördenwegen hin zu einer Erledigung im Internet vollzogen werden kann. Für Österreich ortete er Nachbesserungsbedarf in verschiedenen Punkten. Bei Standortfragen wie bei Betriebsgründungen, Baubewilligungen und Steuererklärungen hinke Österreich im internationalen Vergleich noch hinterher. Bei Bürgerservices war Österreich mit der Plattform help.gv.at lange Spitzenreiter im internationalen Vergleich, habe hier aber den Anschluss verpasst und müsse sich auf eine Weiterentwicklung konzentrieren. Generell gelte es auch, Innovationen im Hinblick auf digitale Transformation verstärkt zu fördern. Außerdem biete die Digitalisierung Chancen für die öffentliche Hand, effizientere Services anzubieten und die Organisation zu verbessern.

Ulrike Huemer, Chief Information Officer der Stadt Wien, kritisierte, dass Gesellschaftsprozesse der öffentlichen Hand bisher meist nur direkt in die digitale Welt übertragen würden, anstatt sie zu analysieren und in Hinblick auf die Digitalisierung weiterzuentwickeln. Man könne hier bei Usability und der Einbindung von UserInnen viel von kommerziellen Plattformen lernen. Die öffentliche Verwaltung habe zwar keine Konkurrenz zu befürchten, müsse aber auch in der digitalen Entwicklung handlungsfähig bleiben sowie Prozesse einfacher machen. Dabei müssten die Innovationskraft und Bedürfnisse von BürgerInnen berücksichtigen werden. Als Beispiel nannte Huemer hier Workshops für BürgerInnen, in denen Prozesse im Digitalen neu gestaltet werden können oder eruiert werden, welche Anwendungen tatsächlich gebraucht werden. So sei eine Störungs-App für WienerInnen entstanden, aber Huemer kann sich auch vorstellen, auf diesem Weg z.B. das Grundbuch oder ein Ideenmanagement neu zu gestalten. Wichtig sei hier aber, dass Datenschutz und Freiwilligkeit der Angebote stets bewahrt bleibt, um das Vertrauen in öffentliche Instanzen zu erhalten.

Auf entsprechende Fragen aus der Diskussion bestätigte Huemer, dass Wien viel Wert auf Open Source Software lege und diese auch einbinde. Zudem würden alle Services auch weiterhin analog angeboten, betonte sie gegenüber Bundesrätin Heidelinde Reiter (G/S), die diesen Aspekt thematisierte. Es gebe kein Entweder-oder, sondern immer eine Kombination aus online und offline, so Huemer dazu.

E-Voting, Partizipationsprozesse, Fake News in der Abschlussdiskussion

Neben dem E-Voting wurden in der abschließenden Diskussion etwa auch Partizipationsprozesse, das Thema Fake News und Kontrollsysteme sowie eine Klarnamenpflicht und Bildungsfragen thematisiert. Partizipation brauche unterschiedlichste Formen und jedenfalls Verbindlichkeit, meinte etwa Bundesrat Stefan Schennach. Ein drängendes Thema sei hinsichtlich Fake News auch die Frage, wohin sich der Wert von politischem Inhalt entwickle und welche Rolle das Parlament der Zukunft dabei haben werde. Bundesrat Martin Preineder (V/N) plädierte für Verantwortung beim Publizieren im Netz. Hier seien etwa Kontrollsysteme und Kennzeichnungsmaßnahmen zu überlegen, um feststellen zu können, woher falsche News kommen. Offene Daten werden gebraucht, so Preineder, in der Balance zwischen dem gläsernen Staat und dem gläsernen Bürger seien allerdings auf die Schnittstellen zu achten.

Eine etwaige Klarnamenpflicht wurde kontrovers gesehen. Gegen Argumente wie etwa steigendes Niveau seien auch Gründe zu beachten, warum es in manchen Situationen auch Anonymität im Netz geben müsse, hieß es in der Debatte. Zum Thema Ausbildung kam einerseits die Anmerkung, dass die sogenannten „Digital Natives“ meist schlicht UserInnen seien und sich nicht mit Technikfolgen auseinandersetzen. Auf der Seite von InformatikerInnen wurde eine Art „Eid des Hippokrates“ für Programmierer vorgeschlagen, damit nicht ohne Reflexion Geschäftsideen in die Welt gesetzt würden. Diskutiert wurde etwa auch, Demokratie „als Suchmaschine“ zu denken, im Sinne moderner, interaktiver Formen der Partizipation. Demgegenüber wurde eine Entwicklung Richtung Unmündigkeit befürchtet.

Bundesratspräsident Edgar Mayer betonte zum Abschluss, dass die Online-Konsultation über den Link www.digidem.at nach wie vor offen ist. Das Grünbuch „Digitalisierung und Demokratie“ ist auf der Website des Parlaments als PDF unter https://parl.at/ldyCO abrufbar. (Schluss Symposium) mbu/see

HINWEIS: Fotos vom Symposium finden Sie auf der Website des Parlaments unter www.parlament.gv.at/SERV/FOTO/ARCHIV.

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