Autor Ijoma Mangold: „Heterogene Gesellschaft braucht offene Diskussion“

Literaturkritiker Mangold im Gespräch über sein Leben als Sohn eines nigerianischen Vaters und einer deutschen Mutter, sowie der Bedeutung des Eigenen und des Fremden und des Gemeinsamen.

Wien (OTS) Am 4. Dezember 2018 las der Kulturkorrespondent und frühere Literaturchef der Wochenzeitung „DIE ZEIT“ und Buchautor Ijoma Mangold auf Einladung des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) aus seinem Roman „Das deutsche Krokodil“ und sprach im Anschluss über seine Jugend und darüber, ob man heutzutage mit dunkler Hautfarbe oder der Leidenschaft für Thomas Mann mehr aus dem Rahmen fällt. Moderiert wurde das Podiumsgespräch im Belvedere 21 von der Journalistin Teresa Vogl (ORF).

Ijoma Mangold ist neben seiner aktuellen Tätigkeit als Kulturkorrespondent für die Wochenzeitung „DIE ZEIT“ auch regelmäßig in der Literatursendung „lesenswert-Quartett“ im Südwestrundfunk zu sehen. 2017 veröffentlichte er sein autobiographisches Buch „Das deutsche Krokodil“. Darin setzt er sich mit seiner Kindheit als Sohn eines nigerianischen Vaters und einer deutschen Mutter im Deutschland der 1970er und 1980er-Jahre auseinander. Aufgewachsen ist er in Heidelberg im Südwesten Deutschlands, wo er damals durchaus auffiel: „Als Kind mit etwas dunklerer Hautfarbe hatte ich schon den Eindruck ‚besonders‘ zu sein, beziehungsweise optisch anders zu sein. Aus den Kinderwägen heraus haben mich die anderen mit offenem Mund angesehen. Das hat im Laufe der Zeit natürlich abgenommen, weil die Gesellschaft schlichtweg heterogener wurde“, erzählt Mangold.

Gesellschaftlicher Wandel: Normgesellschaft versus Individualität

Diesen Wandel der Gesellschaft macht Mangold auch an seiner eigenen Biographie fest: „Heute bin ich nicht mehr so besonders wie damals. Und das ist auch gut so. Damals war meine Identität eine von der ‘Normgesellschaft‘ abweichende und eine Herausforderung, heute ist eher das Gegenteil der Fall.“ Galt in der bürgerlichen Normgesellschaft der 1970er und 1980er-Jahre noch das Credo „Je angepasster, desto besser“, sei man heute besonders erfolgreich, wenn man intellektuell individuell-besondere Leistungen erbringe. „Wurde früher Anpassung belohnt, wird jetzt – in einer so heterogenen Gesellschaft – viel mehr die Individualität prämiert“, betont Mangold. Aus seiner Sicht brauche es deshalb gerade in einer heterogeneren Gesellschaft die Teilhabe aller – unabhängig von Herkunft oder Religion. Sprache sei dafür essentiell: „Sprache ist der Schlüssel, um an einer Gesellschaft teilzuhaben, sich auszutauschen und einander wahrzunehmen. Ohne dem geht es nicht.“

„Soziale Identität entscheidet über Bildungserfolg, nicht Herkunft oder Hautfarbe“

Schon in jungen Jahren begeistert sich Mangold für die Sprache und Erzählungen Thomas Manns, die Werke Richard Wagners und besucht Konzerte der Meistersinger. Seine „nonkonformistische“ Mutter förderte die Bildung und Interessen Mangolds, obwohl sie dessen Vorliebe für konservative Künstler ablehnt. Das Aufwachsen mit einer Mutter, die Bildung und Interessen so fördere, habe seinen Lebensweg viel stärker geprägt als seine Herkunft oder Hautfarbe: „Ich bin davon überzeugt, dass ethnische Identität beim persönlichen Bildungserfolg oder -misserfolg eine weniger große Rolle spielt als die soziale Identität. Wenn in einer Familie über fünf Generationen traditionelle Berufe ausgeübt werden oder in der Fabrik gearbeitet wird, wird die Schwelle, selbst an der Universität zu studieren, höher sein, als wenn man beispielsweise eine andere Hautfarbe oder Migrationshintergrund hat.“ Manche Konfrontation mit Diskriminierung sei daher auch in bestimmten Milieus präsenter als in anderen: „Ich hatte das große Glück, in einer Familie geboren zu sein, die Zugang zu Bildung hatte und diese gefördert hat. Nach dem Gymnasium habe ich studiert – meine Hautfarbe, oder die Herkunft meines Vaters waren dabei kein Thema. Mir ist klar, dass es Jugendlichen aus anderen Familien oder Umständen anders ergangen ist. Ich für meinen Teil habe mich nie fremd im eigenen Land gefühlt.“

„Habe Kulturunterschiede erst durch meine nigerianische Familie erkannt“

Kulturunterschiede hat Mangold bis zum Kennenlernen seines Vaters kaum wahrgenommen: „Ich bin in Heidelberg aufgewachsen, mit einer deutschen Mutter. Ich war und bin deutsch. Zur Kultur meines Vaters hatte ich ja bis dahin keine Beziehung.“ Erst mit 22 Jahren lernt er seinen Vater und dessen Familie kennen. Kulturelle Unterschiede treten erst im engeren Kontakt mit dem Vater und seinen Halbschwestern zu Tage: „Zu meiner nigerianischen Familie habe ich ein inniges Verhältnis und besuche meine Halbschwestern immer wieder. Man bemerkt stark, dass die Gesellschaft dort viel kollektivistischer ist und viel dynastischer gedacht wird als beispielsweise in einer individualistischen Gesellschaft wie Deutschland.“ Doch gerade diese kulturellen Unterschiede seien besonders spannend: „Nigeria ist ein Epos, Deutschland ist ein psychologischer Roman. An meinen Schwestern sehe ich klar, dass in Nigeria das Kollektiv und die Rollen über allem stehen. Ich hingegen beschäftige mich viel damit, was ich als Individuum will und nicht will.“

Integration: „Heterogene Gesellschaft braucht offene Diskussion“

Für ein gelungenes Miteinander in einer heterogenen Gesellschaft braucht es für Mangold vor allem eine offene Diskussion: „In der Vergangenheit haben wir als Gesellschaft vieles ausgeblendet. Nach dem Motto: ‚Was wir nicht wahr haben wollen, darf auch nicht sein‘. Mit dieser Haltung haben wir viele Chancen verpasst.“ Die Frage, was gelungene Integration ausmache, sei nicht einfach zu beantworten: „Wir diskutieren gerade deshalb so heftig, weil es keine einfache Antwort auf solch komplexe Fragen gibt. Umso wichtiger ist es, dass wir laufend darüber sprechen.“ Mangold sieht Integrationsanforderungen an Zuwander/innen als Chance: „Klare Anforderungen mit dem Ziel, dass Zuwander/innen an der Gesellschaft teilhaben können, sind notwendig. Wenn man Minderheiten oder Zuwanderer/innen auf Opfergeschichten abonniert, zerstört man Chancen.“

ÖIF-Veranstaltungen zu Zusammenleben und Kultur

Der Österreichische Integrationsfonds lädt regelmäßig Wissenschaftler/innen, Autor/innen, Historiker/innen und Philosoph/innen zu Podiumsgesprächen und Lesungen, um die Bedeutung von kulturellen Einflüssen auf das Zusammenleben sowie die gesellschaftlichen Herausforderungen und aktuelle Entwicklungen zu Integration aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten. Alle Informationen zu den Veranstaltungen und Podiumsdiskussionen des ÖIF im Frühjahr 2019 finden Sie zeitnah unter www.integrationsfonds.at/veranstaltungen.   

Rückfragen & Kontakt:

Österreichischer Integrationsfonds
Aleksandra Klepic
+43 1 710 12 03 – 331
aleksandra.klepic@integrationsfonds.at

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